Newsnational Mittwoch, 08.01.2014 |  Drucken


Ideenklau?

Abdel-Hakim Ourghi erhebt Plagiatsvorwürfe gegen Mouhanad Khorchide - Hier die ganze wissenschaftliche Abhandlung

Abdel-Hakim Ourghi (s. Bild) ist Studienleiter des Arbeitsbereichs Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Nun erhebt Ourghi schwere Vorwürfe gegen den österreichischen Islam-Theologen Mouhanad Khorchide, der mit seiner "Theologie der Barmherzigkeit" viel Unsicherheit in der Islamischen Geneinde erzeugt hat.

Ourghi wirft Khorchide in der heutige Ausgabe des Standards (siehe link) Ideenplagiat vor, da dieser für seine "Theologie der Barmherzigkeit" die Ideen und Ausführungen von Muhammad Shahrur, einem syrischen Intellektuellen, als eigene ausgeben würde, obwohl diese klar als Ideen Shahrurs zu Ourghi wirft. islam.de liegt der vollständige Text von Dr. Abdel-Hakim Ourghi exklusiv vor:

Der 1938 in Syrien geborene Intellektuelle Muhammad Shahrour ist Deutschland nur Fachkreisen bekannt. Felix Körner und Thomas Amberg haben sich mit den Reformthesen Shahrours befasst, der gewagt hat, den Koran neu zu lesen. Vergleicht man nun die Ansätze des syrischen Vordenkers mit denen von Khorchide, so sind die Einflüsse auf letzteren unverkennbar. Warum aber verschweigt er das? Shahrours Thesen im Kontext seines progressiv hermeneutischen Islamreformprogramms, insbesondere zur „Erneuerung islamischer Ethik und Rechtskultur“ und zu einer „neuen Koranhermeneutik“, welche unter anderen in seinen Werken 1. Das Buch und der Koran. Moderne Lektüre (1990), 2. Der Islam und der Glaube. Das Ethiksystem (1996) sowie 3. Erneuerung der Quellen der islamischen Rechtslehre (2000) dargelegt werden, erregen bis heute sowohl in der islamischen Welt als auch in westlichen Wissenschaftskreisen Aufsehen.

In vorliegendem Beitrag geht es vorrangig um Khorchides 2012 im Freiburger Herder-Verlag erschienenes Buch Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion. Ich werde im Folgenden anhand von ausgewählten Beispielen das Vorgehen Khorchides und den Tatbestand des Ideenplagiats nachzuweisen.   Das zweite Kapitel Khorchides trägt den Titel Wer und wie ist Gott? (S. 28). Nahezu dieselbe Frage findet sich bei Shahrour (2000): „Wer ist Gott? Und wie verstehen wir ihn?“ (S. 37). Khorchide unterschlägt dabei jedoch die Frage Shahrours „Wie glauben die Menschen, dass Gott ist?“ (S. 37). Er möchte sich mit Gott selbst beschäftigen und versuchen, „ihn kennen zu lernen und zu verstehen“ (S. 28). Shahrour formuliert diese Frage anders: „Wer ist Gott in seiner Essenz?“ (S. 37). Khorchide wählt manchmal Ausdrucksweisen, die sich von denen Shahrours unterscheiden, vielleicht um ihre Herkunft zu verschleiern. Der syrische Intellektuelle meint, dass das Ziel sei, durch menschliche Erkenntnisse die Nähe Gottes zu erlangen (S. 54). Laut Khorchide macht Gott „den ersten Schritt auf ihn [den Menschen] zu und will ihm nahekommen“ (S. 29). Noch ein weiteres Beispiel: Gemäß Khorchide sucht Gott Mitliebende, weil „er aus seiner endlosen Barmherzigkeit heraus andere in sie [seine Liebe] aufnehmen“ wolle (S. 29). Shahrour spricht allerdings über „Gott an sich“, der uns gegenüber gnädig und barmherzig sei (S. 39).  

In Zusammenhang mit der Erschaffung des Menschen zitiert Khorchide den Koranvers 15:29 über die „Geisteinhauchung des Menschen“ und leitet daraus ab, dass „etwas Göttliches in uns Menschen“ sei (S. 29). Dieser Gedanke findet sich in einem völlig anderen Kontext schon bei Shahrour in seinem Werk Das Buch und der Koran. Er ist jedoch der Ansicht, dass Gott dem Menschen dadurch, dass er ihn als Stellvertreter einsetzt, einen Teil seiner Göttlichkeit verleihe. Die Anerkennung dafür muss sich in dem Gehorsam gegenüber den Geboten und Verboten Gottes manifestieren (S. 123-124). Khorchide schreibt: „Es ist etwas Göttliches in uns Menschen, das uns erlaubt, nach dem Göttlichen zu suchen, es wahrzunehmen und das eigene Leben auf Gott hin auszurichten.“ (S. 29). Interessant scheint auch die blinde Übernahme Khorchides der Thematik des Kennenlernens Gottes durch seine Attribute (S. 31), die sich auch bei Shahrour 2000 findet (S. 37-40).   Shahrours (1990) Unterkapitel heißt Der Allbarmherzige (S. 254-259) und behandelt zuerst die sprachliche und inhaltliche Bedeutung des koranischen Terminus „der Allbarmherzige“. Auffällig scheinen bei Khorchide nicht nur die zitierten Koranverse 55:13 und 26:5, sondern die sinngemäß, aber sehr frei nach Shahrour übersetzten Sätze in dem Punkt 2.1 Gott ist Barmherzigkeit (S. 31-40). Khorchide gibt ausgewählte Sätze von Shahrour wieder, welche seinem eigenen Kontext dienen. Seine selektive Vorgehensweise führt immer wieder zu leichten Abänderungen, die er vielleicht bewusst vornimmt, um sich von Shahrour zu unterscheiden. Khorchide schreibt: „Die Formulierung ‚Gott ist die Barmherzigkeit‘ ist zutreffender als ‚barmherziger Gott‘.“ (S. 32). Shahrour schreibt allerdings etwas anders: „Wir sagen, Gott ist der Allbarmherzige und nicht der Allbarmherzige ist Gott.“ (S. 255).

Auch Shahrours zweites Buch Der Islam und der Glaube dient Khorchide bei der Erklärung des Begriffes „Barmherzigkeit“ (S. 32-36), denn seine qualitative Unterscheidung zwischen Gott als „dem Allbarmherzigen“ und „dem Allerbarmer“ (S. 32) schreibt er deutlich von Shahrour ab (S. 74-75). Auf S. 35 beruft sich Khorchide zum Teil auch auf dieselben Koranverse wie Shahrour (z. B. 6:12 u. 54). Die Gleichsetzung der Namen „Allah“ und „Allbarmherziger“ und deren Hervorhebung im Vergleich zu den anderen Beinamen in der Sure 17:110 entlehnt Khorchide (S. 35) sinngetreu von Shahrour. In den meisten Fällen übernimmt Khorchide Wörter bzw. kurze Sätze von Shahrour und maßt sich die Deutungshoheit durch eine wohl gezielt abgewandelte Übersetzung an. Er schreibt zum Beispiel: „Göttliche Barmherzigkeit drückt auch die Fürsorge Gottes für den Menschen aus.“ (S. 33). Allerdings spricht Shahrour von der Barmherzigkeit nicht in substantivischer Form, sondern verwendet zwei Aktivpartizipien und schreibt somit, dass „der Allbarmherzige“ „den Allerbarmer bei der Art seines Umgangs mit seinen Geschöpfen“ beinhalte (S. 74). Möglicherweise hat diese leichte Abänderung des Satzsinnes mit der freien Übersetzung Khorchides zu tun.  

Deutlicher wird Khorchides Rekurrieren auf Shahrours zweites Buch (1996, S. 139-160) bei der Thematik des Menschen als „mündigem Gottesverehrer und unmündigem Knecht“ (S. 73- 76). Khorchide formuliert etwas anders und betitelt sein Unterkapitel mit Die Gott-Mensch- Beziehung ist keine Herr-Knecht-Beziehung (vgl. Amberg S. 154-165). Der syrische Intellektuelle betitelt sein Unterkapitel mit Die Gottesdiener und die Knechte. Insgesamt 22 Seiten bei Shahrour werden von Khorchide auf etwa vier Seiten gekürzt. Auch der Grundgedanke in dem Werk Khorchides „über einen nicht restriktiven Gott als Diktator“ (S. 73) ist keineswegs eigene schöpferische Kreation. Interessant ist, dass Khorchide dem Leser zu dieser Thematik die relevanten Koranverse, darunter „Dein Herr handelt nicht ungerecht an seinen Dienern.“ (Sure 41:46) und „Er will nicht, dass den Dienern Unrecht geschieht.“ (Sure 40:31), vorenthält. Wie begründet er dann seine These? Bei Shahrour können wir die gesamte Argumentation nachvollziehen: Er ist der Meinung, dass die Menschen im Diesseits in der Lage sind, zwischen Gehorsam und Ungehorsam zu unterscheiden. Deshalb ist Gott ein absolut Gerechter (S. 155-158). Shahrour spricht von der Gerechtigkeit Gottes am Jüngsten Tag im Vergleich zu den „diktatorischen Systemen“ (S. 158) im Diesseits. Auch „die Freiheit des Menschen und seine Selbstbestimmung bzw. die Wahlfreiheit (Khorchide S. 74) findet sich bei Shahrour: „Wir sagen: Gott schafft die Menschen frei. Als Diener verweigern sie ihm freiwillig Gehorsam und gehorchen ihm freiwillig. Freiheit ist das höchste Wort Gottes in der Schöpfung“ (S. 176).  

Auch im Kapitel 8 Humanistische Koranhermeneutik scheut sich Khorchide nicht davor, sich kräftig aus Shahrours Buch (1990) zu bedienen. Ein weiteres Beispiel ist hierbei erwähnenswert. Er will anhand von vier Beispielen „die humanistische Lesart des Koran im Vergleich zu traditionellen Lesarten“ (S. 177) erklären. Bei dem Beispiel I: Gewalt gegen Frauen zitiert Khorchide Sure 4:34, in dem es unter anderem um das Schlagen der Ehefrauen geht. Er liest aus diesem Koranvers, dass die „gewaltlose Möglichkeit der Mediation“ Vorrang vor dem „Schlagen“ haben solle, führt aber keine weiteren Begründungen an. Er verweist lediglich auf den sozialen Kontext auf der Arabischen Halbinsel im 7. Jahrhundert: „Frauen wurden damals bei geringstem Verdacht ermordet bzw. verprügelt“ (S. 178), ohne dafür irgendeinen Beleg zu geben. Seine „humanistische Lesart“ findet sich jedoch ausführlicher schon unter dem Titel eines Unterkapitels von Shahrour (1990), nämlich Modell für das neue Recht bei der Behandlung des Frauenthemas im Islam (S. 592-629; vgl. Amberg S. 288). Nach der ausführlichen sprachlichen Erklärung des Verbs „schlagen“ vertritt Shahrour die Sichtweise, dass es sich nicht um Gewalt handle, sondern um Versöhnungsgespräche durch zwei Schiedsrichter (S. 622). Hierzu verweist Shahrour auf einen intertextuellen Koranvers, Sure 4:35, der die Versöhnungsgespräche zwischen den Eheleuten durch zwei Schiedsrichter, um den Ehebruch zu vermeiden, betont. Khorchide lässt diesen Koranvers und vieles mehr in seiner Zusammenfassung von Shahrours Argumentation schlicht weg. Der syrische Reformer (2000, S. 323) ist genauer und zitiert dazu auch eine Aussage des Propheten Muhammad, welche seine Interpretation dieses Verses begründet, nämlich: „Schlagt die Dienerinnen Gottes nicht.“ (Amberg S. 291). Amberg charakterisiert Shahrours Vorgehen als „modernistische Interpretation des Korantextes […] Mutig bis gewagt ist die Auslegung“ (Amberg S. 290f.) bzw. „diese höchst freie ‚zeitgemäße‘ Deutung von Sure 4,34“ (Amberg S. 291). Des Weiteren ist auch die „humanistische Koranhermeneutik“ des Koranverses 2:282 bei Khorchide hinsichtlich des zweiten Beispiels Zeugenschaft der Frauen (S. 179-180) deutlich von Shahrour (1990, S. 141- 142) abgeschrieben.  

Die Liste der formalen und inhaltlichen Plagiierung könnte erheblich verlängert werden, denn sein Buch besteht zu einem wesentlichen Teil aus Ideen, die aus den drei oben genannten Werken Shahrours stammen. Auf fast jeder Seite, wo sich Khorchide zum größten Teil nur auf Koranverse beruft, ist von einem gezielten Abschreiben der innovativen Reformideen bzw. einer sehr freien Übersetzung der Thesen des syrischen Intellektuellen auszugehen. Solch eine Vorgehensweise ist nur mit einem deutlichen Willen zur Verschleierung seiner Quellen möglich und kann keinesfalls einem Versehen entspringen. Übrigens fehlen auch bei Shahrour größtenteils Literaturangaben, denn er beruft sich überwiegend auf den Koran selbst und liefert seine eigene Auslegung.  

Nach der Lektüre der Werke Shahrours sowie desjenigen von Khorchide stellt sich dem Leser unvermeidlich eine Frage: Warum verweist Khorchide an keiner Stelle auf Shahrours Reformansätze. Es ist deutlich spürbar, dass er mit den Reformideen Shahrours bestens vertraut ist. Die Indizien, also die semantische Nähe der gebrauchten Begriffe, die Gliederung der Kapitel und nicht zuletzt die behandelten Themen und Fragestellungen an sich, legen nahe, dass es sich bei Khorchides „Werk“ nicht um sein alleiniges geistiges Eigentum handelt.   Shahrour nähert sich in seiner üblichen Verstehensmethode den verschiedenen Themen zunächst durch eine etymologisch-sprachliche Behandlung der Begrifflichkeit, eine ausführliche Sichtung der Wortverwendung im gesamten Korantext und schließlich eine tief begründete textuelle und kontextuelle Erörterung an (vgl. Amberg S. 154). Dies interessiert Khorchide nicht. Er entleert vielmehr die Thesen von Shahrour ihres sinnstiftenden Gehalts und entwurzelt sie aus ihrem interaktiven Kontext, auch dadurch, dass er das Arabische auf eine naive und sprunghafte Art und Weise ins Deutsche paraphrasiert. Khorchide selektiert auch immer wieder aus verschiedenen Kapiteln der Werke Shahrours gedankliche Passagen, die er zu seinen eigenen inhaltlichen Zwecken umkomponiert. Erstaunlicherweise treffen wir so in einzelnen Passagen, die nicht auf den Ansätzen Shahrours beruhen, plötzlich auf einige Literaturverweise in Fußnoten (z. B. Khorchide S. 172 u. 190).  

Leider verdichtet sich bei der Lektüre des zweiten Buches von Khorchide der Verdacht, dass hier ebenfalls die Ansätze und Ideen Shahrours Pate standen. Eine genaue Überprüfung wird noch zu leisten sein. Ich möchte jedoch nachdrücklich betonen, dass diese Beanstandungen meinerseits in keinerlei Zusammenhang mit der bereits seit einiger Zeit schwelenden Kontroverse um Khorchide stehen. Vielmehr geht es hier um wissenschaftliche und auch theologische Redlichkeit. Ideen von anderen Autoren sind als solche zu kennzeichnen, auch in populärwissenschaftlichen Büchern!

Zum Autor: Dr. Abdel-Hakim Ourghi Studienleiter des Arbeitsbereichs Islamische Theologie / Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg



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