Newsinternational Dienstag, 28.10.2014 |  Drucken

Tunesien hat gewählt

Konservative Partei Ennahdha zahlt jetzt den Preis für ihre Regierungsbeteiligung in der Übergangsphase – Starke Einbußen – Geringe Wahlbeteiligung

Nur rund 60 Prozent der rund 5,2 Millionen registrierten Wähler waren am Sonntag unter hohen Sicherheitsvorkehrungen zu den Urnen gegangen. Das war zwar mehr, als Beobachter angesichts der Ernüchterung vieler Tunesier befürchtet hatten, aber dennoch deutlich weniger als 2011 bei den Wahlen zur Verfassungsversammlung.

Vor allem junge Menschen waren den Urnen ferngeblieben. Enttäuschte Hoffnungen auf schnelle wirtschaftliche Reformen, die Senkung der Arbeitslosigkeit und der Reform der Institutionen waren es wohl, für die insbesondere Ennahdha einen Denkzettel von den Wählern erhalten hat.

Umfragen an den Wahllokalen und erste Teilergebnisse genügten. Der Chef der tunesischen Islamistenpartei Ennahda (Erneuerung), Rachid al-Ghannouchi, akzeptierte am Montagabend die Niederlage seiner Partei bei der Parlamentswahl am Sonntag. Er griff zum Telefon und gratulierte seinem Kollegen der säkularen Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens), Béji Caïd Essebsi, zum Wahlsieg.

Ennahda schnitt 2011 bei den ersten freien Wahl des Landes zur verfassungsgebenden Versammlung mit 37 Prozent und 89 Abgeordneten als stärkste Partei ab. Doch nun sackte sie nach noch nicht offiziell bestätigten Ergebnissen auf 31,3 Prozent und 68 Sitze ab.

Nidaa Tounes liegt demnach mit 38,2 Prozent bei 83 Abgeordneten vorne. Platz drei konnte sich die von einem Geschäftsmann gegründete UPL mit 17 Abgeordneten (7,8 Prozent) sichern, die kommunistisch beeinflusste Volksfront bekam 12 Sitze (5,6 Prozent). Im Parlament sitzen 217 Abgeordnete.

Natürlich werde man ein fairer Verlier sein und die Wahlergebnisse akzeptieren, sagte Ennahdhas Abdelfattah Mourou. "Wir haben gezeigt, dass der "arabische Frühling" eine Realität ist. Tunesien ist ein Mosaik verschiedener Kräfte, und das erleben wir gerade." Die Partei zahle jetzt den Preis für ihre Regierungsbeteiligung in der Übergangsphase.

"Wir sind erst vor einem Jahr von der Regierung zurückgetreten." Danach hatte die damalige Regierungskoalition unter Führung von Ennahdha einer parteipolitisch unabhängigen Expertenregierung den Weg frei gemacht. Die negativen Aspekte ihrer Amtszeit seien den Wählern allerdings stärker im Gedächtnis geblieben als die Errungenschaften seit der Revolution, so Mourou.

Nidaa Tounes trat hingegen weniger vorbelastet zu den Wahlen an als ihr größter Konkurrent. Die Partei um den 87-jährigen Beji Caid Essebsi hat sich erst 2012 gegründet. Sie vereint Kräfte aus dem Gewerkschaftsspektrum, Konservative und frühere Mitglieder der RCD, der inzwischen aufgelösten Partei um den ehemaligen Machthaber Zine al-Abidine Ben Ali.

Besonders diese sind es, die bei vielen Tunesiern Bedenken hervorrufen. Wie könne eine Partei, die Kadern des alten Regimes eine Heimat biete und von Essebsi wie ein Familienunternehmen geführt werde, überhaupt demokratisch verfasst sein. "Ich traue denen nicht! Sie haben noch nicht mal intern demokratische Strukturen, wie können die dann unser Land zu einer Demokratie machen?", so Nabila, die am Sonntag in einem Wahllokal in der Innenstadt von Tunis ihre Stimme abgegeben hat, "weder für Ennahdha noch für Nidaa Tounes."

Für die linke Volksfront zeichnet sich unterdessen ein Achtungserfolg ab, auch die wirtschaftsliberale Partei Afek und die Freie Patriotische Union des Geschäftsmanns Slim Riahi können mit mehreren Sitzen rechnen.

Die ehemaligen Koalitionspartner von Ennahdha, der Kongress für die Republik von Präsident Moncef Marzouki und Ettakatol von Parlamentspräsident Mustapha Ben Jaafar, mussten ersten Teilergebnissen nach bittere Niederlagen einstecken und liegen im unteren einstelligen Bereich.




Wollen Sie einen
Kommentar oder Artikel dazu schreiben?
Unterstützen
Sie islam.de
Diesen Artikel bookmarken:

Twitter Facebook MySpace deli.cio.us Digg Folkd Google Bookmarks
Linkarena Mister Wong Newsvine reddit StumbleUpon Windows Live Yahoo! Bookmarks Yigg
Diesen Artikel weiterempfehlen:

Anzeige

Hintergrund/Debatte

Die Große Moschee in Duschanbe (Tadschikistan) ist das größte Gotteshaus in Zentralasien
...mehr

Film-Besprechung: "In Liebe, eure Hilde" - Dresens neuer Film erzählt eine tragische Geschichte aus der NS-Zeit auf der Berlinale 2024
...mehr

ZMD-Landesverband Rheinland-Pfalz in Staatskanzlei mit anderen muslimischen Religionsgemeinschaften: Kein Generalverdacht und: „Jüdisches und muslimisches Leben sind ein integraler Bestandteile des Landes"
...mehr

Daniel Barenboim mit DAG-Friedrich II von Hohenstaufen-Preis geehrt
...mehr

Buchkritik: "Faschismus" von Paul Mason – Von Aiman A. Mazyek
...mehr

Alle Debattenbeiträge...

Die Pilgerfahrt

Die Pilgerfahrt (Hadj) -  exklusive Zusammenstellung Dr. Nadeem Elyas

88 Seiten mit Bildern, Hadithen, Quran Zitaten und Erläuterungen

Termine

Islamische Feiertage
Islamische Feiertage 2019 - 2027

Tv-Tipps
aktuelle Tipps zum TV-Programm

Gebetszeiten
Die Gebetszeiten zu Ihrer Stadt im Jahresplan

Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben

Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009