Newsnational Dienstag, 19.04.2016 |  Drucken


Von li. nach re.: Dr. Sadiqu Al-Mousllie, Prof. Dr. Udo Steinbach; Parlamentarische Staatssekretärin a. D. Gudrun Kopp
Von li. nach re.: Dr. Sadiqu Al-Mousllie, Prof. Dr. Udo Steinbach; Parlamentarische Staatssekretärin a. D. Gudrun Kopp

Go West - 11. Liberal International Day unter Beteiligung des ZMD

Sadiqu Al-Mousllie: "[...]Am Anfang hat man es sich im Lehnstuhl vor dem Fernseher schön gemütlich gemacht und mal zugeschaut, was so in Syrien alles passiert."

Am 16. April 2016 lud in Berlin Patrick Meinhardt, Präsident der Deutschen Gruppe der Liberal International e.V., zu einer Diskussion ein. Das Thema des 11. Liberal International Day lautete: „Go West – Zerfallene Staatlichkeit als Fluchtursache.“ Einer der Podiumsteilnehmer war der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Niedersachsen, Dr. Sadiqu Al-Mousllie.
Er ist auch Vorsitzender der Initiative für Bürgerrechte in Syrien und Mitglied des Syrischen Nationalrats.
Er betonte: „Das syrische Volk ist 2011 von allein auf die Straßen gegangen. Am Anfang wollten die Bürger nur Reformveränderungen erkämpfen. Man hatte ein halbes Jahrhundert Terror und Unterdrückung erleben müssen. Der grausame Bürgerkrieg setzte 2011 nach rund sieben Monaten friedlichen Demonstrationen ein.“ Scharfe Worte fand er für die Staaten des demokratischen Westens: „Der Westen hat viele Chancen vertan. Am Anfang hat man es sich im Lehnstuhl vor dem Fernseher schön gemütlich gemacht und mal zugeschaut, was so in Syrien alles passiert.“

Für den promovierten Zahnarzt aus Braunschweig sind die Fluchtursachen aus Syrien in EU-Länder, die zumeist unter großer Lebensgefahr erfolgen, klar: „In den Flüchtlingslagern in der Türkei, in Jordanien und im Libanon haben die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge keine Perspektive. Daher machen sie sich auf den Weg über das Meer.“

Gudrun Kopp (FDP) wirkte von 2009-2013 als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie betonte: „Die Menschen in Syrien und im Irak sehen doch in ihrem Handy und in den sozialen Netzwerken, wie ihr Staat von Tag zu Tag immer mehr zerfällt. Staatliche Strukturen wie Schulen, Universitäten und Krankenhäuser sowie Wasser- und Stromversorgung und vieles mehr sind nicht mehr oder kaum noch vorhanden. Das alles verleitet doch zur Flucht.“
In solchen Gegenden wächst auch kein Demokratieaufbau voran, weiß sie zu berichten: „Wer jeden Tag um sein nacktes Leben kämpfen muss, hat anderes zu tun als sich für demokratische Strukturen in seinem Heimatland einzusetzen.“

Prof. Dr. Udo Steinbach leitete bis zu seiner Pensionierung das GIGA-Institut für Nahoststudien. Für ihn ist es klar, dass „die Leute im Nahen Osten die besten Vorsätze hatten, als sie ihre Despoten verjagten. Dann kamen die Menschen aber in eine Sackgasse. Wie kommen sie da jetzt wieder heraus?“ Er sieht auch den Westen gefordert: „Wir haben eine gemeinsame Geschichte im westlichen Europa und im Nahen Osten. Die Menschen dort wollen demokratische Verhältnisse haben und hoffen auf tatkräftige Unterstützung aus Europa.“

Mehr Geduld und Verständnis für die Nahostregion verlangt Prof. Steinbach von den Deutschen! „Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel die Demokratie für uns in Westdeutschland nicht vom Himmel. Die westlichen Alliierten mussten sie uns mühsam beibringen.“ Noch schlimmer sah es in der ehemaligen DDR aus. In Gera, Jena und Rostock beispielsweise fanden die letzten freien Wahlen auf deutschem Boden im Januar 1933 statt. Dann erst wieder 1990. Wer 1933 wählen durfte, war mindestens 21 Jahre alt. Diese Person kam also spätestens Januar 1912 zur Welt. Dann darf doch auch mal die Frage gestellt werden, wer nahm 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, im Alter von 78 Jahren oder noch älter erstmals wieder an den freien Wahlen teil?
„Viele Ostdeutsche kannten die Demokratie doch nur vom Hörensagen. Fast 8 Jahrzehnte stemmten sich zuerst Nazis und dann das kommunistische Regime gegen freie Wahlen.“ So ergeht es auch vielen Bürgern im arabischen Raum. Sie kennen die Demokratie nur aus dem Auslandsaufenthalt in den USA und Westeuropa oder aus dem Fernsehen.

Seit 2009 gehört der liberale niederländische Politiker Hans van Baalen dem Europäischen Parlament an. Für den Europapolitiker ist eines klar: „Deutschland kann nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen. Sich zurücklehnen und gar nichts tun geht aber auch nicht.“
Einig waren sich alle Podiumsteilnehmer, schnellstens tragfähige Lösungen für den Nahen Osten zu finden und diese umzusetzen. Engagement ist gefordert, vor allen Dingen müssten sich die politisch Verantwortlichen der westlichen Welt noch mehr für Frieden in Arabien einsetzen. Frieden dort bedeutet auch, die Flüchtlingszahlen gehen drastisch zurück und hören dann sogar gänzlich auf. Frieden dort bedeutet ferner, zahlreiche hier lebende Kriegsflüchtlinge kehren in ihre Heimatländer zurück um beim Wiederaufbau des Landes zu helfen.

Dr. Al-Mousllie zog nach der Veranstaltung im Pressegespräch ein Fazit: „Man hat unterschiedliche Auffassungen und Standpunkte gehört. Alle Teilnehmer aber eint der ernsthafte Wille, den hier lebenden Flüchtlingen aus den Krisenregionen und den noch in den Kriegsgebieten ausharrenden Menschen Hilfe zuteil kommen zu lassen. Das ist in diesen unruhigen Zeiten wenigstens eine erfreuliche Nachricht.“ (Volker-Taher Neef, Berlin)




Wollen Sie einen
Kommentar oder Artikel dazu schreiben?
Unterstützen
Sie islam.de
Diesen Artikel bookmarken:

Twitter Facebook MySpace deli.cio.us Digg Folkd Google Bookmarks
Linkarena Mister Wong Newsvine reddit StumbleUpon Windows Live Yahoo! Bookmarks Yigg
Diesen Artikel weiterempfehlen:

Anzeige

Hintergrund/Debatte

Die Große Moschee in Duschanbe (Tadschikistan) ist das größte Gotteshaus in Zentralasien
...mehr

Film-Besprechung: "In Liebe, eure Hilde" - Dresens neuer Film erzählt eine tragische Geschichte aus der NS-Zeit auf der Berlinale 2024
...mehr

ZMD-Landesverband Rheinland-Pfalz in Staatskanzlei mit anderen muslimischen Religionsgemeinschaften: Kein Generalverdacht und: „Jüdisches und muslimisches Leben sind ein integraler Bestandteile des Landes"
...mehr

Daniel Barenboim mit DAG-Friedrich II von Hohenstaufen-Preis geehrt
...mehr

Buchkritik: "Faschismus" von Paul Mason – Von Aiman A. Mazyek
...mehr

Alle Debattenbeiträge...

Die Pilgerfahrt

Die Pilgerfahrt (Hadj) -  exklusive Zusammenstellung Dr. Nadeem Elyas

88 Seiten mit Bildern, Hadithen, Quran Zitaten und Erläuterungen

Termine

Islamische Feiertage
Islamische Feiertage 2019 - 2027

Tv-Tipps
aktuelle Tipps zum TV-Programm

Gebetszeiten
Die Gebetszeiten zu Ihrer Stadt im Jahresplan

Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben

Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009