Newsnational Dienstag, 18.02.2020 |  Drucken

2020: Wenn nicht jetzt liebe Umma, wann wacht ihr dann auf?

Ein Weckruf für die Demokratie in der muslimischen Gemeinde und die Lehre aus dem Debakel in Thüringen - Von Zaid el-Mogaddedi - dringender Apell an den Hamburger Wahlen teilzunehmen

Meine lieben Geschwister im Islam, as-salámu 'alaikum wa rahmatulláhi wa barakátuh.

In diesem Jahr finden in der Bundesrepublik wieder Wahlen statt und zwar am 23. Februar die Bürgerschaftswahl in Hamburg, am 16. März die Kommunalwahlen in Bayern und am 13. September die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und ich könnte meinen, dies sei ein Grund zur großen Freude sei, denn viele Muslime in diesem Lande sind wahlberechtigt und werden sicher ihr Recht zur Stimmabgabe nutzen, um eben als ein wichtiger Teil in dieser Gesellschaft, ihre Rechte auch wahrzunehmen. Aber ist dem so im Jahre 2020????

Der Hamburger Bürgerschaftswahlkamp geht aktuell gerade in seine letzte, aber entscheidende Phase und am übernächsten Sonntag, den 23. Februar 2020 werden wir dann kurz nach 18.00 Uhr wissen, wie sich die Bürgerschaft in Hamburg vorrausichtlich neu zusammensetzen wird.

Werdet ihr euch dann auch fragen, wie viele Muslime von den etablierten Parteien aufgestellt worden sind und den Sprung in die Bürgerschaft geschafft haben, um ihre Stimmen als deutsche Muslime zu erheben, sobald dort über unsere Belange in der Bürgerschaft debattiert wird oder werden wir stattdessen nur wieder darüber klagen, dass zwar über uns entschieden wird, aber nicht mit uns auf Augenhöhe verhandelt wird?

Aber wie sollte auch mit uns in den Parlamenten quer durch die Republik verhandelt werden, wenn wir dort doch so gar nicht vertreten sind? Fehlt es uns an politischer Expertise oder an dem erforderlichen Rückgrat, damit wir für unsere Interesse einzustehen und diese eben in den Parteigremien auch adäquat artikulieren?

In den letzten Wochen habe ich meine Frau, Zohra Mojadeddi, die bei Grüne/Bündnis 90 für die anstehenden Hamburger Bürgerschaftswahl auf Platz 45 der Landesliste aufgestellt wurde bei verschiedenen Terminen in unserer Community begleitet und es ist teilweise erschreckend, wie wenig unsere Community sich mit politisch relevanten Fragestellungen auseinandersetzt und noch viel schlimmer, wie viele einfach nicht zur Wahl gehen und dies teilweise damit begründen, das dies in einem parlamentarischen Demokratiesystem, wie wir es hier in Deutschland haben für Muslime gar nicht erlaubt sei, sich aktiv an Wahlen zu beteiligen. Deutschland ist doch für viele von uns zur Heimat geworden und Heimat ist da, wo die Familie lebt und man Verantwortung übernimmt und dies gilt eben im Besonderen für die Verantwortung über unsere politische Zukunft.

Woher kommt nur diese massive Unkenntnis und dieser erschwerend hinzukommende ideologisch verbrämte und nicht zu belegende Blick auf unsere Lebensrealität in der Bundesrepublik. Vae victis kann ich da nur sagen! Wir waren in diesen Fragen doch schon viel weiter.

Gegen diese Art von praktizierter Dummheit mit Sachargumenten und Belegstellen sinnvoll anzukämpfen, gleicht dem Kampf des Don Quijote von Cervantes und erfüllt mich mit großer Traurigkeit, denn selbst die anerkanntesten Gelehrten-Gutachten über die Notwendigkeit der politischen Teilhabe von Muslimen in mehrheitlich nichtmuslimischen Jurisdiktionen prallen an dieser Borniertheit ab und dann kommt auch noch erschwerend hinzu, dass wir unsere eigenen starken Kandidaten auf weiter Flur so ziemlich alleine, nicht einmal den Rückens stärken, sie nicht unterstützen und stattdessen, teilweise Parteivertreter und quasi „Quoten-Migranten“ präferieren, die nachweislich ihrer Lebensbiographie weit von den uns zugrunde liegenden islamischen Werten entfernt sind und diese Werte sind universelle Werte, für die es sich lohnt, sich auch auf dem Boden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung einzusetzen, die eben nicht damit im Widerspruch steht.

Das setzt allerdings das Wissen aus beiden Welten voraus und hier fällt mir sehr oft die Weisheit ein, dass unser Gehirn wie ein Muskel arbeitet, der durch tägliches Training immer besser wird, aber vielen von uns Muslimen bleibt dieses daily workout leider erspart.

Kurzum: Unsere Community, belegt eindeutig die Existenz einer vor sich dahinschlafenden Minderheit, die sich ihrer Stärken und Fähigkeiten nicht bewusst ist und die es bedauerlicherweise vorzieht, weiterhin von außen zuzuschauen, wenn es um unsere Belange geht, statt sich aus der Politik heraus aktiv zu agieren und mitzugestalten, wenn es darum geht, das bessere Ergebnis für uns alle zu erzielen.

Ja, auch das vermeintlich kleinere Übel von Zweien, kann eine für uns bessere Lösung sein, wenn wir es damit schaffen, dass größere Übel fernzuhalten und die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen hat auf fatale Art und Weise gezeigt, in welche Richtung es führen kann, wenn unsere wertvollen und einzigartigen Stimmen eben nicht auf dem Stimmzettel auftauchen.

Es geht doch vor allem darum, einen messbaren Nutzen für uns Muslime zu schaffen und den erzielen wir hier in Deutschland auch nur dann, wenn wir uns auf das parlamentarische Parteiensystem einlassen und zwar mit schlauen Köpfen aus unserer Mitte, denen unsere Gedankenwelt, aber auch unsere Sorgen und Wünsche bekannt sind: https://www.islamische-zeitung.de/muessen-viel-mehr-praesenz-zeigen/.

Das Debakel in Thüringen sollte doch für uns alle ein Weckruf erster Güte sein, um die Segnungen des zum Beispiel noch in Hamburg bestehenden Staatsvertrages mit der Schura zu erhalten. In Hamburg müssen wir ein lautstarkes Votum gegen den sich formierenden und stärker werden Widerstand der drei Parteien CDU, FDP und AfD, wobei letztere weit davon entfernt ist, das Label der bürgerlichen Mitte tragen zu dürfen, abgeben und dies sollte für uns alle ein sehr hohes, weil uns alle betreffendes Herzensanliegen sein.

Aber Hamburg ist nur exemplarisch, denn Hamburg und seine Wahl ist für uns Muslime ein Sinnbild unserer politischen Agonie überall in Deutschland, wo Wahlen sei es auf kommunaler oder Länderebene anstehen und wir uns davor drücken, unserer wichtigen Stimme auf dem Wahlzettel ein entsprechendes Gewicht zu verleihen.

Was wollen wir unseren nachfolgenden Generation entgegnen, wenn sie uns danach fragen, warum wir es zugelassen haben, dass ein Staatsvertrag mit uns Muslimen derart den Bach runtergegangen ist und zwar nicht, weil die anderen so stark waren, sondern einzig und allein, weil wir unsere Rechte nicht wahrgenommen haben und zu schwach waren. Und was, wollen wir unseren Kindern sagen, wenn sie uns danach fragen, warum wir nicht für ihre Rechte eingetreten sind, als wir die Möglichkeit noch hatten.

Aber das ist eben auch nur mit Muslimen in politischer Verantwortung darstellbar und daher werbe ich heute nicht pro domo für meine Frau in Hamburg, sondern pro Ummah und vor allem für uns alle und hoffe, dass ihr euch alle in euren sozialen Netzen und bei euren Family und Friends Gruppen dafür einsetzt, dass wir Muslime an den Wahlen teilnehmen: One Umma = One Vote ist hier die Devise und erst wenn wir uns selber ändern, können wir auch den Zustand der politischen Bewertung des Islams und der Muslime in Deutschland ändern. Wir müssen aktiv handeln, weil Wir auch Sie sind und nur zusammen können wir gemeinsame Lösungen erarbeiten.

Jede Stimmt zählt und jede nicht abgegebene Stimme bedeutet, dass wir noch schwächer werden. Dafür lebe ich nicht schon seit 60 Jahren in Deutschland und ihr solltet euren Kindern, unserer nächsten Generation eine bessere Parteienlandschaft mit mehr muslimisch geprägten Politikern hinterlassen, als ihr sie für euch vorgefunden habt. Mit dieser Wahl am Sonntag, den 23. Februar 2020 in Hamburg, die eine Richtungswahl für uns Muslime in Hamburg ist, entscheidet nur ihr allein, wie sich die Geschicke von uns Muslimen in Hamburg in den nächsten Jahren entwickeln sollen und mit jeder nachfolgenden Wahl gilt das genauso Jetzt ist nicht die Zeit zum Spalten der Gemeinschaft, sondern zum Handeln für eine gute Sache. Geht also wählen, es ist eurer Recht, dass euch niemand nimmt, es sei denn, ihr lasst es sinnlos verkümmern!!!

Autor: Zaid el-Mogaddedi ist Founder & Managing Director des Institute for Islamic Banking and Finance (IFIBAF) und lebt in Hamburg. Seine Frau kandidiert für einen Platz in der Hamburger Bürgerschaft.



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