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Samstag, 11.09.2021


World Trade Center Memorial

Doku über die Folgen des Terrors von 9/11 für damalige Kinder

Matthew, der seinen Vater verloren hat: "Er habe jedoch niemals alle Muslime als Verantwortliche gesehen." - "Muslime sind in Folge der Anschläge "ausgegrenzt, bedroht, gefürchtet" worden", kritisiert die Filmemacherin und Muslima Adama

Köln Matthew, der seinen Vater am 11. September 2001 verloren hat. Taylor, deren Vater damals Ersthelfer war und vor kurzem an den Spätfolgen von Vergiftungen starb. Oder Adama, die wenige Jahre nach den Anschlägen zu Unrecht als Terrorverdächtige ins Gefängnis kam: Ihre Schicksale schildert die Dokumentation "Die Kinder von 9/11 - Aufgewachsen im Schatten des Terrors". Autorin Christiane Meier hat Trauerfeiern begleitet, Familien besucht und viele Gespräche mit ihnen geführt. Die ARD strahlt den Film am Montagabend ab 23.50 Uhr aus.

Die Eindrücke der Betroffenen stehen in den 45 Minuten klar im Mittelpunkt. Die Ereignisse des Tages werden knapp zusammengefasst, einordnende Kommentare zu politischen Folgeentwicklungen bleiben ebenso die Ausnahme wie Einschätzungen von Experten. Auch wenn die Sicht etwa von Traumaforschern an vielen Stellen interessant wäre, hat diese Konzentration auf persönliche Haltungen und Lebenswege ihren eigenen Reiz.

So kommt die Doku in manchen Szenen sehr amerikanisch daher, wenn sich etwa Familie Ragalia an Leonard erinnert, der als Feuerwehrmann am 11. September ums Leben kam. Dass seine Eltern, Bruder Stephen und Leonards Söhne in ihm einen Helden sehen, zeigt sich nicht nur in ihren T-Shirts mit dem Aufdruck "As long as I breathe, you'll be remembered" (dt. "So lange ich atme, wirst du in Erinnerung bleiben"). Auch sind die Männer der Familie weiterhin in der Feuerwehr, als Rettungskräfte oder Polizisten aktiv. Aus dem Verlust ist für sie ein Auftrag erwachsen - auch wenn Stephen Ragalia betont, jeder Jahrestag fühle sich an wie "eine frische Wunde".


Ground Zero - World Trade Center nach dem Einsturz
Als 16-Jährige ohne Begründung festgenommen, verbrachte sechs Wochen im Gefängnis und musste danach noch jahrelang eine elektronische Fußfessel tragen

Zum 20. Jahrestag werden die Erinnerungen bei vielen Hinterbliebenen wach. Und nicht nur bei den Anschlägen selbst kamen Menschen ums Leben. Hunderte Familien haben Ersthelfer an Krebs und Atemwegserkrankungen verloren - wie Taylor, die immer wieder zu weinen beginnt, wenn sie über ihren Vater spricht. "Ich bin stolz, aber ich wünschte, er hätte mehr Zeit auf Erden gehabt", sagt sie.

So macht der Film deutlich, wie junge Menschen, im Jahr 2001 noch Kinder, von einem auf den anderen Tag erwachsen werden mussten. Manche, analysiert Filmemacherin Meier, führte diese Erfahrung an den Rand eines Abgrundes. Matthew Bocchi hat ein Buch darüber geschrieben. Die Frage, ob sein Vater am 11. September aus einem der Fenster der Zwillingstürme gesprungen sei, ließ den damals Neunjährigen nicht mehr los. Auf der Suche nach Unterstützung wurde er missbraucht, geriet in einen Strudel aus Sucht und Verzweiflung.

Wenn Matthew erzählt, erinnert er am Rande auch daran, warum das World Trade Center überhaupt zum Ziel der Angriffe wurde. Dass es einstürzen könnte, galt als ausgeschlossen - um so schockierter waren Millionen, als die Türme schließlich doch in sich zusammenfielen. Der Autor überträgt die Hoffnung dennoch auf das ganze Leben: Man könne schwanken, Rückschlägen aber letztlich doch standhalten. "Sway", "schwanken", lautet der Titel seines Buchs.


Muslima wählen Amerika - "We the people"; Muslima mit Kopftuch bestehend aus der amerikanischen Flagge
Was wenn es den Tag nicht gegeben hätte? "All die Bitterkeit, der Hass, die Verwirrung wären nicht da."

Eine gänzlich andere Perspektive bringt Adama in den Film ein. Im März 2005 wurde sie als 16-Jährige festgenommen, verbrachte sechs Wochen im Gefängnis und musste danach noch jahrelang eine elektronische Fußfessel tragen. Muslime seien in Folge der Anschläge "ausgegrenzt, bedroht, gefürchtet" worden, kritisiert die Filmemacherin. Adama, die niemals angeklagt und inzwischen in die USA eingebürgert wurde, mahnt, dass die Welt ohne jenen Tag heute eine andere wäre: "All die Bitterkeit, der Hass, die Verwirrung wären nicht da."

Neben diesen nachdenklichen Tönen hält der Film auch Hoffnungszeichen fest. So schildert Matthew, welche Wut er als Kind auf Drahtzieher Osama bin Laden empfand: "Da war also jemand, den man mit 9/11 verbinden und den man verantwortlich machen konnte." Er habe jedoch niemals alle Muslime als Verantwortliche gesehen. "Es waren Radikale, die das gemacht haben." Auch Taylor beobachtet Veränderungen. So fragten sich mehr Menschen, wie es zu den Anschlägen kommen konnte und wie sich solche Entwicklungen künftig verhindern ließen. Ihr Fazit: "Wir müssen das Chaos aufräumen, das die ältere Generation uns überlassen hat."