Newsnational Donnerstag, 29.12.2005 |  Drucken

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Islam im Klassenzimmer

Impulse für die Bildungsarbeit – Buchbesprechung von Thuraya Mustafa

Bereits vor dem 11. September 2001 mussten sich Lehrerinnen und Lehrer mit dem Islam und mit muslimischen Schülerinnen und Schülern, und den Konflikten, die sich aus der Konfrontation mit einer fremden Religion ergaben, auseinandersetzen. Jedoch, wie Sanem Kleff, die Herausgeberin des Bandes „Islam im Klassenzimmer“, richtig bemerkt, haben die Ereignisse der letzten Jahre den Umgang schwieriger gestaltet. Die immer neuen Berichte in den Medien vom „islamischen Terror“ schüren Angst und Unsicherheit vor einer Religion, deren Vertreter zwar schon lange in Deutschland leben, die man nun aber mit anderen Augen sieht. Und der Ton verschärft sich zunehmend. Hinzu kommt eine verwirrende Unterteilung der Muslime in so genannte Islamisten, Extremisten, Konservative und Gemäßigte, welche die Unsicherheit noch verstärkt. Handelt es sich nun um so genannte „Islamisten“, wenn Eltern die Teilnahme ihrer Tochter an einer Klassenfahrt verweigern? Welche Motive stecken tatsächlich dahinter? Wie soll sich die Schule in einem solchen Fall verhalten? Je mehr über „den“ Islam geschrieben und diskutiert wird, desto größer die Unsicherheit im Umgang mit den Problemen, die in der Schule entstehen. Es herrsche eine regelrechte „Kulturkampfstimmung im Klassenzimmer“, so die Herausgeberin.

Der Band, der aus einer Zusammenarbeit der Körber-Stiftung und der Kultusministerkonferenz der Länder entsprungen ist, nimmt sich dieser schwierigen Thematik auf eine innovative wie kreative Art und Weise an. Vorgestellt wird nicht einfach „das Patentrezept“ für einen pädagogischen Umgang mit dem Islam. Es wird vielmehr eine Reihe von Projekten präsentiert, die sich im Schulalltag bewährt haben und die einen Einblick in die Art und den Inhalt des Kulturdialogs gewähren, der an den Schulen stattfindet. Ein Teil der Projekte thematisiert den Islam im Unterricht, der andere Teil beinhaltet fachübergreifende Schulaktivitäten. So bietet das „Open Space“-Projekt den teilnehmenden Jugendlichen unterschiedlicher kultureller Herkunft ein Forum, um über ihr nicht immer konfliktfreies Miteinander zu sprechen. Die Themen, über die diskutiert werden, bestimmen die Teilnehmer selbst. Ein anderes Konzept, das „interkulturelle Theater“, verschafft den Beteiligten auf spielerische Art und Weise die Möglichkeit, in die Haut des anderen zu schlüpfen und so die Perspektive des Gegenübers kennen zu lernen. Der Schüleraustausch mit einem muslimischen Land ist eine weitere Idee, den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, Muslime, diesmal außerhalb Deutschlands, kennen zu lernen.

Hinter diesen und vielen weiteren Projekten, die in dem Buch vorgestellt werden, steckt das Anliegen, sinnvolle Maßnahmen im Umgang mit dem Islam zu finden. Die Autoren versäumen es nicht, die Erkenntnisse, die sich aus der Projektarbeit ergeben, zu formulieren und daraus Anforderungen an die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer wie auch der Schülerinnen und Schüler zu stellen. Die interkulturelle Bildung der Pädagogen wird gefordert um sie für ihre Aufgaben an den Schulen und den Umgang mit einer multikulturellen Schülerschaft besser vorzubereiten. Sie werden in ihrer Lehrerausbildung nicht hinreichend auf die Situation an deutschen Schulen vorbereitet. Darüber hinaus wird gefordert, allen Schülerinnen und Schülern „interkulturelle Kompetenz“ zu vermitteln. Eine Kompetenz, die sie dazu befähigt, sich selbstbewusst zwischen den Kulturen zu bewegen und sich in die Denk- und Handlungsweise anderer hineinzufühlen. Und nicht zuletzt wird ein angemessener Islamunterricht an Schulen gefordert.

Dennoch widerspricht sich die Herausgeberin in einem wichtigen Punkt selbst: Sie fordert zwar, Menschen nicht nach ihrer „religiösen Orientierung einzutüten“, warnt vor „überzogenen Haltungen“ Muslimen gegenüber und wünscht sich, in die traditionelle Migrationsdebatte zurückzugehen. Gleichzeitig warnt sie jedoch vor einem politisch motivierten Islam, der es ihrer Meinung nach nötig macht, über die Gefahr des „Islamismus“ an den Schulen zu diskutieren. Als deutlichstes Zeichen hierfür sieht sie unter anderem das Kopftuch der Schülerinnen, die ansonsten Körperbetonte Kleidung tragen oder die Befreiung muslimischer Schülerinnen vom Schwimmunterricht. Diese Warnung erstaunt, plädiert Sanem Kleff doch so vehement und eindrucksvoll für einen unvoreingenommenen Dialog mit dem Islam. Obwohl die Herausgeberin auf der einen Seite versucht, Lehrer dafür zu sensibilisieren, dass das Verhalten von Muslimen nicht automatisch „Islamismus“, Integrationsunwilligkeit oder gar Gefahr impliziert, begeht sie auf der anderen Seite selbst den Fehler, einigen muslimischen Schülerinnen und Schülern aufgrund ihrer Bekleidungsart oder Verhaltensweisen eine bestimmte Gesinnung zu unterstellen und schürt damit genau das, was an Schulen unbedingt vermieden werden sollte: Das Misstrauen gegenüber religiös motiviertem Handeln von Muslimen zu verstärken und die üblicherweise auf Frömmigkeit basierende Lebensart bzw. Erziehung pauschal in die Ecke des Islamismus zu rücken. Solch ein Hinweis kann sicherlich zu einer Entschärfung einer Vielzahl von Spannungssituationen zwischen muslimischen Eltern und Schullehrern führen, welche nicht selten auf solchen Generalverdächtigungen basieren.

Insgesamt handelt es sich jedoch bei diesem Buch nicht nur um die interessante und abwechslungsreiche Präsentation origineller Ansätze für eine nachhaltige Integrationsarbeit, die der Nachahmung wert sind. Pädagogen, Eltern und Bildungsexperten werden vielmehr ermutigt, eigene Wege zu finden im Umgang mit dem Islam, mit dem Ziel, allen Schülern einen erfolgreichen Schulabschluss zu ermöglichen und sie für ein Leben in einer multikulturellen Gesellschaft angemessen vorzubereiten. Abgerundet wird dieses Praxisbuch durch den Anhang, der weiterführende Informationen und Kontakte z.B. zu islamischen Organisationen, zur Ausbildung islamischer Religionslehrer wie auch sinnvolle Literaturempfehlungen beinhaltet.

Sanem Kleff (Hrsg.): Islam im Klassenzimmer
232 Seiten, Softcover; ISBN 3-89684-331-1. 12 Euro

Rezensentin:Thuraya Mustafa 32, Studium der Germanistik und Anglistik an der Uni Bochem





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