Newsnational Dienstag, 11.09.2007 |  Drucken

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Islamophobie in den USA geringer als in Deutschland

Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume im Interview. Während Hindutempel im Ausland als "romantisch" wahrgenommen würden, verträgt man in eigener Stadt noch keine bleibende Vielfalt. Trotz aller Probleme optimistischer Ausblick.

Für eine Tagung der Akademie Hohenheim wertete der Heidelberger Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume nationale und internationale Umfragen unter Muslimen und Nichtmuslimen der letzten Jahre aus. islam.de fragte nach den Ergebnissen.

islam.de: Dr. Blume, eigentlich ist ja der Zusammenhang von Religion und Demografie Ihr Hauptthema…

Blume: Ja, das stimmt. Aber ich wollte die Entwicklungsthesen zum Islam in Deutschland auch einmal an demoskopischen Befragungen zu überprüfen. Und die Ergebnisse fielen außerordentlich herausfordernd, aber auch ermutigend aus - und zwar sowohl für Muslime wie Nichtmuslime.

islam.de: Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Muslime in Deutschland im Vergleich zu den USA noch eine doppelte Ausgrenzung zu überwinden haben?

Blume: Genau. Die Beobachtung, dass die Integration der Muslime in den USA sehr viel besser gelingt und der „homegrown terrorism“ vor allem ein europäisches Problem ist, gibt es ja schon länger. Die Daten legen nun nahe, dass es in den USA tatsächlich leichter ist, auch als religiöser Mensch gegenseitige Anerkennung zu finden. In Europa und insbesondere in Deutschland gibt es dagegen noch starke Ängste gegenüber öffentlich sichtbarer Religiosität an sich. Muslime bekommen also sowohl islamophobe wie allgemein religionsfeindliche Einstellungen ab. So besteht die Gefahr, dass sich Selbst- und Fremdausgrenzungen gegenseitig verstärken.

Schauen Sie sich zum Beispiel diese Befragung an (siehe Grafik, a.d.R.). So stark wie kaum ein anderes westliches Volk vermuten die Deutschen religiöse Gründe hinter der wirtschaftlichen Schwäche islamischer Länder. Türken geben nicht weniger pauschal der westlichen Politik die Schuld. Aus diesem Wir-Die-Schema brechen andere aus: Für US-Amerikaner, die durchschnittlich sehr viel religiöser als Deutsche sind, ist nicht der Islam, sondern die Korruption der Hauptgrund. Und die in Deutschland lebenden Muslime haben sich klar von der bequemen Erklärung, wonach nur andere Schuld seien, abgesetzt und fordern vor allem mehr Bildung. Überhaupt haben die Muslime in Deutschland längst ein ganz eigenes Antwortprofil, das sich von dem muslimischer Herkunftsländer deutlich unterscheidet.

islam.de: Verbinden Muslime in Deutschland die Kulturen?

Blume: Zum großen Teil, ja. Es gibt auch eine kleine Minderheit, die die deutsche Gesellschaft weiterhin ablehnt, sogar eine winzige Minderheit, die Selbstmordanschläge nicht ausschließt. Aber die allermeisten Muslime in Deutschland identifizieren sich mit der Gesellschaft, lehnen jede Gewalt strikt ab und attestieren ihren Mitbürgern beispielsweise Ehrlichkeit und einen respektvollen Umgang mit Frauen. Beliebig sind sie aber auch nicht, die Prophetenkarikaturen lehnen sie beispielsweise mit deutlicher Mehrheit als respektlos ab.

islam.de: Haben also Terroristen die Angst vieler Deutscher vor dem Islam verursacht?

Blum: Nein, dann müsste sie ja in den USA mindestens genauso verbreitet sein, das ist aber nicht so. Auch gingen die Debatten in Deutschland etwa um das Kopftuch bereits 1998 und also vor dem 11.09.2001 los. Terroristen verstärken die islamophoben Ängste zwar, aber diese haben auch tiefere Wurzeln.

In Deutschland brach die katholische Kirche durch die Reformation unter furchtbaren Kämpfen auseinander. Dann setzten sich aufgrund eines gegen die Religionsparteien durchgesetzten Friedens konfessionell einheitliche Gebiete durch, in denen man sich abgrenzte. Später kam es zum Kulturkampf zwischen Katholiken und deutschem Reich. Die einzige religiöse Minderheit, die Juden, wurden in der NS-Zeit nahezu vernichtet. Mit religiöser Vielfalt im eigenen Land verbinden die meisten Deutschen noch nichts positives, Religion hat vom Staat kontrolliert, traditionell orientiert und ansonsten möglichst unsichtbar zu sein. Man findet Hindutempel, die Amish oder Native Americans im Urlaub super romantisch, verträgt aber in der eigenen Stadt noch keine bleibende Vielfalt. 70% der befragten Deutschen gaben 2006 an, es gebe einen Konflikt zwischen einem Leben als moderner Mensch und als frommer Muslim. In den USA waren es nur 40%, in der Türkei 29%.

islam.de: Sie sagten aber auch etwas von einer Herausforderung an die Muslime…

Blume: Ja, die Befunde deuten ganz eindeutig darauf hin, dass die Ängste vor religiöser Vielfalt und dem Islam vor allem in den älteren Generationen und auf dem Land tief verwurzelt sind. Wenn wir keine Rechtsradikalen in den Parlamenten wollen, müssen wir auch den demokratischen Parteien zugestehen, diese Ängste verantwortlich aufzugreifen. Und auch wenn es für die meisten Muslime in Deutschland selbstverständlich ist, Gewalt abzulehnen und die Rechte von Frauen und Kindern zu achten, sollten sie Verständnis für die Menschen aufbringen, die den Islam nur aus den Medien kennen. Ebenso wie in der Türkei oder Ägypten kommt es auch in Deutschland auf die richtige Mischung aus Hartnäckigkeit, Kreativität aber auch Einfühlungsvermögen und Geduld an, wenn die Gesellschaft Ängste ablegen und sich freiheitlich entwickeln soll. Diese Angst, dieses Eis muss schmelzen, es lässt sich nicht brechen.

islam.de: Wird das Bild des Islam in Deutschland schlimmer oder besser?

Blume: Mittelfristig eindeutig besser. Unter den jüngeren Generationen und in den größeren Städten, wo es bereits viele Begegnungen auch im Alltag gibt, schwindet Islamophobie deutlich. Für immer mehr Menschen gehört der islamische Nachbar oder Kollege zu Deutschland einfach schon dazu, da ist die Fremdheit weg und entsprechend wird differenziert. Insofern verändern die Muslime die deutsche Gesellschaft einmal, indem sie für Identitätsdebatten herhalten und zum zweiten, indem sie die Menschen an religiöse Vielfalt gewöhnen. Und sie entwickeln umgekehrt ein sehr viel differenzierteres und positiveres Bild von der westlichen Gesellschaft als die meisten Muslime in islamischen Ländern.

Weder die Terroristen noch die Islamophoben haben diese Annäherung bisher stoppen können. Es ist manchmal hart und die Extremisten toben, aber die Karawane Richtung gemeinsamer Gesellschaft zieht weiter. Und jeder kann etwas dazu beitragen.

islam.de: Herr Dr. Blume, wir danken für das Gespräch.

Abruf des Vortrags „Zur gegenseitigen Wahrnehmung von Muslimen und Christen in Deutschland“ siehe unterer Link.




Lesen Sie dazu auch:
www.blume-religionswissenschaft.de

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