Newsnational Dienstag, 25.03.2008 |  Drucken

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„Koordinierungsrat der Muslime unterstützen und anerkennen“ – Empfehlung an die Bundesregierung

islam.de in Gespräch mit Bodo Ramelow, Fraktionsvize der Partei DIE LINKE, über Islam, Hedgefonds und das Zinsverbot im Koran, den zunehmenden Rechtsextremismus in unserem Land und Erkenntnisse aus der jüngsten Islam-Anfrage im Bundestag

islam.de: Wie sehen Sie ihre Arbeit in einer bekanntermaßen eher religiös unmusikalischen Partei und könnten Sie sich vorstellen, dass eine seriöse Islampolitik in unserem Lande in Zukunft von Ihrer Partei Unterstützung erfährt?

Bodo Ramelow:Eine „seriöse“ Politik gegenüber islamischen Minderheiten in der Bundesrepublik muss zuallererst eindeutig auf Akzeptanz der Glaubensfreiheit und auf Integration aller Menschen anstatt Desintegration zielen. Im Moment hat die herrschende Politik etwas von „Zuckerbrot und Peitsche“, es wird einerseits ein Entgegenkommen signalisiert, andererseits werden absurde Forderungen aufgemacht, wenn beispielsweise von einer Verfassungsschutzkontrolle für Konvertiten die Rede ist.
Unsere Politik fokussiert auf eine gleichberechtigte Akzeptanz aller Religionen in diesem Land – unsere Bedingung ist eine Anerkennung des Grundgesetzes und der darin festgeschriebenen Werte der Glaubensfreiheit auf Basis der Aufklärung. Für eine große Mehrheit der Muslime in Deutschland, das belegen entsprechende Untersuchungen, sind diese Werte eine Selbstverständlichkeit. Deshalb halte ich es für kontraproduktiv, wenn der Staat immer wieder neue Forderungen auf dem Weg zu einer Akzeptanz der Muslime aufmacht. Hier müssen endlich Regelungsvorschläge her, wie mit Fragen der Ausbildung von Imamen, wie mit islamischem Religionsunterricht bzw. Religionskunde, wie mit Lehrstühlen für islamische Theologie verfahren werden soll. Da kann man sich als Regierung nicht davor drücken, indem man ständig darauf verweist, dass es keine anerkannte Vertretung des Islams gäbe und außerdem sowieso erst noch die „Leitkultur“ anzuerkennen sei, wobei der Inhalt des Begriffs bewusst schwammig gehalten wird.

islam.de: Zwangsheirat und Ehrenmord wird fast ständig paranoid zusammen mit Islam im Munde geführt (siehe untere und vorigen Bericht in islam.de). Welche Erkenntnisse haben Sie durch die Anfrage „Zwangsehen“ gewinnen können und wie bewerten Sie die Aussage der Bundesregierung, dass sie dazu immer noch keine gesicherten Daten hat?

Bodo Ramelow:„Sceo nescio – ich weiß, dass ich nichts weiß“ – die sokratessche Aussage trifft leider auch auf die Bundesregierung in der Frage der Zwangsehen zu. Unser Hinweis, dass hier noch erheblicher, vor allem empirischer Forschungsbedarf besteht, wird von der Regierung zur Kenntnis genommen.
Problematisch ist diese passive Haltung vor allem deshalb, weil das „Bekämpfen von Zwangsverheiratungen“ als Begründung für eine Verschärfung der Regelungen zum Ehegattennachzug herangezogen wird. Gleichzeitig lehnt die Bundesregierung es ab, Aufenthaltsrechte für im Ausland Zwangsverheiratete zu stärken (wir berichteten Anm. Red.).
Prinzipiell muss die Frage gestellt werden, ob es hier um Religion und Glauben oder um kulturelle Diskrepanzen geht, die man als solche erkennen und beantworten muss? Das kann auch mit einer entsprechenden Rechtssetzung geschehen, die sich auf die Seite der Opfer solcher Zwangsmaßnahmen stellt, ohne den Islam herabzusetzen! Entscheidend ist eine Basis von echten Erkenntnissen und keine Verurteilungen durch Vorurteile.

islam.de: Hasserfüllter und oft gewaltverherrlichender Agitation gegen Muslime speziell und Ausländer im Allgemeinen erleben wir hierzulande mit zunehmender Tendenz – Was kann die Partei DIE LINKE dagegen tun?

Bodo Ramelow:Meine Fraktion stellt seit vielen Jahren monatlich eine kleine Anfrage zur Entwicklung rechtsextremer Gewalttaten. Eine Auswertung der Antworten zeigt, dass es einen kontinuierlichen Anstieg gibt. Trotzdem werden Phänomene wie Rechtsextremismus und Rassismus in der Politik immer noch als Randerscheinungen betrachtet.
Dabei gäbe es natürlich Mittel und Wege stärker als bisher gegen solche Erscheinungen vorzugehen. DIE LINKE fordert seit langem unabhängige Beobachtungsstellen und in den Ländern jeweils Gesamtkonzepte gegen Fremdenfeindlichkeit anstatt einzelner, meist unterfinanzierter Projekte.
Speziell auf Muslime bezogen, müssen wir oft und laut sagen, dass Vorurteile, die zum Teil auch von Politikern anderer Parteien bedient werden, schlichtweg falsch sind und es einer differenzierten Betrachtung bedarf. Integration kann nur gelingen, wenn beide Seite – Mehrheitsgesellschaft und Minderheit – sich darum bemühen. Darauf hinzuweisen und entsprechende Initiativen zu entwickeln, ist unser Beitrag.

islam.de: Erleben Sie nach Ihrer Anfrage im Bundestag zunehmend Schmäh- und Hassschriften?

Bodo Ramelow:Ich habe in der Tat schon sehr viele Briefe erhalten, in denen mir vorgeworfen wird, ich würde den Islam „schlimm verharmlosen“, wenn ich sage, dass ich ihn für eine friedliebende Religion halte. Meistens werden dann Koranzitate angeführt, die beweisen sollen, dass Gewalt und Frauenunterdrückung im Islam Programm seien. Auch entsprechende Hetzflugblätter bekam ich, die nur verunglimpfend argumentieren und Angst gegen das als "fremd" Empfundene erzeugen wollen.
Es gibt aber auch andere Stimmen, die meine Politik unterstützen und explizit unsere Bemühungen um eine bessere Integrationspolitik für gut heißen.

islam.de: Welche Vorschläge zur Bekämpfung der Islamfeindlichkeit in unserem Lande können sie der Bundesregierung im Hinblick der Islamkonferenz machen?

Bodo Ramelow:Wichtigste Aufgabe der Politik ist eine Dekonstruktion des „Feindbilds Islam“. Der Begriff „Islam“ wird in der Öffentlichkeit aus unterschiedlichen Gründen mit „Terrorismus“, „Frauenunterdrückung“ und anderen äußerst negativ besetzten Wörtern verbunden. Dabei ist der Islam eine der drei abrahamitischen Weltreligionen, das heißt Christen, Juden und Muslime haben gemeinsame Wurzeln und sind sich in ihrem Glauben manchmal näher, als mancher Vertreter der Mehrheitsgesellschaft denkt.
Eine Veränderung des Bildes der Muslime in der Öffentlichkeit kann natürlich nur mit ihnen gemeinsam gelingen. Die Politik muss aber die Mittel dazu bereitstellen.

Deshalb wäre meine Empfehlung an die Bundesregierung, das Zusammengehen der vier großen Verbände zum „Koordinierungsrat der Muslime“ zu unterstützen und als ersten und wichtigen Schritt anzuerkennen. Mit dem Koordinierungsrat ist ein Organ entstanden, das wichtige Teile der deutschen Muslime vertreten kann. Ohne die Anerkennung durch den Staat fehlt aber die Legitimation in der Öffentlichkeit. Eine wirklich respektierte Vertretung hätte auch die Chance, das Bild des Islams in der Öffentlichkeit zu verändern.
Herr Schäuble hält aber den Islam aus verschiedenen Gründen lieber vielstimmig. Das mag nicht völlig falsch sein und auch ich selbst würde beispielsweise nie auf die Meinung der Aleviten verzichten wollen.
Wenn es aber darum geht, in der Öffentlichkeit ein positiveres Ansehen für die islamische Religion zu erreichen, braucht es Personen, die damit positiv identifiziert werden. Wird dagegen ständig betont, dieser oder jener sei nur ein Vertreter einer kleinen Richtung innerhalb des Islams, bleibt immer ein Misstrauen gegenüber der großen Masse, die angeblich nicht einzuschätzen sei.

islam.de: Ganz andere Frage: Was geht Ihnen durch den Kopf angesichts des immer deutlicher werdenden weltweiten Bankensterben? Auf was müssen wir uns als Bürger gefasst machen, wenn der oberste Bankchef Ackermann sein „Glaubensbekenntnis“ revidiert und sagt „er glaube nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes“?

Bodo Ramelow:Herr Ackermann könnte einem fast Leid tun – aber ernsthaft: DIE LINKE fordert seit Jahren, dass internationale Finanzgeschäfte stärker kontrolliert werden. Währungen müssen endlich wieder an die Realwirtschaft rückgebunden werden. Dazu sei als Stichwort die Tobin-Steuer genannt. Unabhängig von ihrer Höhe könnte damit der Finanzverkehr zumindest soweit verlangsamt werden, dass das „plötzliche Verschwinden“ einiger Milliarden Euro nicht mehr so ohne weiteres möglich wäre.
Die Finanzkrise zeigt auch, dass eine regionale Rückbindung unserer Banken dringend Not tut. Unsere Landesbanken sind in den letzten Wochen und Monaten massiv unter Druck geraten, allerdings nicht wegen Problemen in Sachsen oder Bayern, sondern weil sie an Spekulationen am amerikanischen Immobilienmarkt beteiligt waren.
Nun wird versucht, mit immer mehr Steuergeldern den Markt wieder zu beruhigen. Leider lassen sich derartig strukturelle Probleme nicht mit Geld lösen. Dazu will ich nur erwähnen, dass Hedgefonds in der Zeit, als Oskar Lafontaine noch Finanzminister war, in Deutschland verboten waren, weil hier auf Spekulationen gezockt wird. Im Vergleich zum ohnehin schon schwer zu durchschauenden Aktienmarkt, wird mit Hedgefonds und Derivatenhandel das Risiko exponentiell gesteigert. Dieses Weltcasino muss feste Regeln bekommen, sonst wird es keine verlässliche wirtschaftliche Entwicklung mehr geben können. Interessant wäre es in diesem Zusammenhang mal über das Zinsverbot des Korans zu debattieren und Schlussfolgerungen zu ziehen.

islam.de: Herr Ramelow, wir danken Ihnen für das Gespräch


Zu Person Bodo Ramelow: Er gilt als einer der wichtigsten Architekten der Vereinigung von Linkspartei.PDS mit der WASG zur Partei DIE LINKEN. Seit 1999 arbeitete er im Thüringer Landtag und 2004 erreichte er mit der damaligen PDS als deren Ministerpräsidentenkandidat bei einer Landtagswahl über 26 %. Seit 2005 ist der gelernte Einzelhandelskaufmann Mitglied des deutschen Bundestages. Bodo Ramelow, der auch Religionsbeauftragter und im Vorstand der Partei DIE LINKEN ist, wurde über Jahre vom Verfassungsschutz überwacht. Erst kürzlich entschied ein Verwaltungsgericht, dass die Beobachtung rechtswidrig sei.




Lesen Sie dazu auch:
Kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag: Antimuslimischer Rassismus und Rechtsextremismus
Phantom Zwangsehe und Islambashing als Eintrittskarte für Rechtsextreme. Von Hany Jung
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