Newsnational Freitag, 22.01.2010 |  Drucken

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Beruf Islamkritiker mit grossen Karrierechancen trotz oder gerade wegen der Rezession - Von Till-R. Stoldt

Über die neuen Abendland-Retter mit dem paranoiden Blick auf die Welt

Wir sind verloren. Europa ist auf dem Weg ins islamisierte Eurabia. Die Wiederkehr des Mittelalters ist eine Frage der Zeit. Und die hirngewaschenen Deutschen trauen sich nicht mal, dagegen aufzubegehren. Das verbietet ihnen die politisch-korrekte Gesinnungsdiktatur. Wer dagegen zu mucken wagt, wird als Ausländerfeind gebrandmarkt. Siehe Thilo Sarrazin. Doch zum Glück: Ein paar Aufrechte gibt es noch. Islamkritiker, Ex-Muslime, besagten Sarrazin oder die Schweizer mit ihrem Volksentscheid gegen Moscheeminarette. Ganz tot ist sie also nicht, die Freiheit.

Ungefähr so lässt sich die Stimmung in Teilen der deutschen Öffentlichkeit beschreiben – angeheizt von auflagenstarken Publizisten, Internetnetzwerkern und Bürgerbewegungen (irgendwo zwischen rechtspopulär und rechtsextrem), die längst in den bundesrepublikanischen Mainstream hineinstrahlen. Und in manchem, was diese Apokalyptiker umtreibt, steckt sogar ein Körnchen Wahrheit.

Weil sie aber glauben, weit mehr als nur ein Körnchen erfasst zu haben, bleibt leider nur ein Urteil über sie zu fällen: Ihr Weltbild taugt zum ideologischen Fundament für Massendeportationen, religiösen Reinigungswahn und unendliches Leid. Aus diesem Grund verdienen sie auch Aufmerksamkeit. Weil wir nicht zulassen dürfen, dass der partiell verständliche Unmut angesichts der Zuwanderung aus muslimischen Ländern in fanatische Kanäle gelenkt wird.

Fangen wir bei den oft durchaus ehrlichen Sorgen unserer Islamkritiker an. Natürlich ist es schockierend, wenn infolge von Zuwanderung aus islamischen Ländern hierzulande Unsitten wie Zwangsehen und Ehrenmorde heimisch werden; oder wenn vorwiegend durch Migranten die Jugendgewalt in Deutschland hochgetrieben wird. Nur muss man dann auch fragen, ob dies wirklich Folge einer „islamischen“ Zuwanderung ist.

Warum kommt kein Islamkritiker auf die Idee, den Unterschied zwischen muslimischen Zuwanderern aus städtischen Mittelschichten und solchen aus der tiefsten Bergdorfprovinz anzuerkennen? Und warum weigern sich Islamgegner so konsequent, die über Jahrzehnte ausgebliebene Integrationspolitik als Ursache heutiger Missstände auch nur zu erwägen?

Angeblich weil nichtmuslimische Zuwanderer sich unter gleichen Bedingungen besser integriert hätten. Aber das ist falsch. Italienischstämmige haben ebenso große Bildungsdefizite wie Türkischstämmige. Und Russlanddeutsche waren lange Jahre die unangefochten brutalste Jugendgruppe der Republik.

Doch der islamkritische Tunnelblick nimmt das nicht wahr. Für ihn existiert nur, was ins Raster passt. Bringt also ein eifersüchtiger Türkischstämmiger seine Ex-Frau um, handelt es sich laut Islamkritikern selbstredend um eine „muslimische Tat“. Dass der vermeintliche Muslim als drogensüchtiger Spielhöllenstammgast bekannt war, der seit Jahren keine Moschee mehr von innen gesehen hatte, wird geflissentlich übersehen. Schuld ist ja „der Islam“.

Die unglaubliche Schlichtheit dieses Erklärungsmusters muss man den Religionskriegern immer wieder vor Augen halten. Zudem darf man nicht die Relationen unterschlagen, wenn über die Straftaten von Migranten berichtet wird. Ein Beispiel: Die Zahl aller hierzulande bekannten Ehrenmörder mit (noch so diffusem) islamischem Hintergrund macht weniger als 0,01 Prozent der hier lebenden Namensmuslime aus. Dies systematisch zu verschweigen, heißt verleumden.

Und noch eine andere Sorge der Islamkritiker verdient Aufmerksamkeit. Die Klage, das Diktat politischer Korrektheit zwinge dazu, die Missstände unter Muslimen zu verschweigen. Auch dies sollte ernst genommen werden. Dass es in Deutschland bis zum elften September 2001 einen Nachholbedarf an offener Islamkritik gab, dürfte nämlich nicht ganz falsch sein. Der gebückte Gang, um die Flugbahn der Faschismuskeule zu unterlaufen, kam wohl vor. Und in manchem Zeitgenossen mögen die Erfahrungen vergangener Tage noch heute nachwirken.

Nur: Für das Deutschland des Jahres 2010 trifft diese Warnung schlicht nicht zu. Immer neu beteuern Kirchenvertreter und Unionspolitiker bis hin zur Kanzlerin (immerhin eines religiös neutralen Staates), ihr Nein zum EU-Beitritt der Türkei ergebe sich auch aus ihrer christlichen Identität. Und kein Mensch, nicht einmal Claudia Roth, würde dies als faschistisch bezeichnen. Wo also versteckt sich das PC-Diktat?

Dort aber, wo die öffentliche Distanzierung vom Islam oder von Muslimen wirklich attackiert wurde, etwa im Fall Sarrazin, da galt die Kritik nur der unverkennbaren Absicht, möglichst brutal zu formulieren. Ist Brutalität denn ein Wert an sich?

Für so manche offenbar schon. Denn die „Man-wird-ja-wohl-noch-die-Muslime-kritisieren-dürfen“-Attitüde schlägt um. Allmählich droht sich der Ruf nach freier Islamkritik in einen Schlachtgesang der Gehässigen zu verwandeln. Ja, in Talkshows, Parlamenten und Publizistik breitet sich längst ein so undifferenzierter wie ruppig-respektloser Umgangston gegenüber Muslimen aus. Es trägt nicht zum Frieden bei, wenn der Grüne Daniel Cohn-Bendit verkündet, es sei an der Zeit, „den Muslimen mal was vor den Latz zu knallen“. Auch fördert es kaum das friedliche Miteinander, wenn der Schriftsteller Ralf Giordano immer neu intoniert, man sei viel zu lang devot gewesen gegenüber diesen archaischen Muslimen.

Und es zeugt weder von Sachverstand noch Differenzierungswillen, dass in manchem Landtag, etwa in NRW, das Kopftuchverbot mit dem platt-pauschalen Hinweis begründet wurde, Kopftuchträgerinnen seien allzu oft Feinde der Menschenwürde (was durch rein gar nichts belegt ist). Hier hat der demokratische Mainstream aufs Geratewohl eine Gefahr konstruiert und gleich noch gut sichtbar markiert.

Sein Fundament erhält die Islamfeindseligkeit jedoch in einer Darstellung des Korans und des Propheten, die sich von Beschimpfung kaum mehr unterscheidet. So wird der Prophet Muhammad von sogenannten Experten wechselweise als „Karawanenräuber“, „Mörder“ und Initiator eines „Genozids“ verunglimpft.

Auf die Spitze getrieben werden diese Attacken mit der kühnen Behauptung, solche Urteile seien unter allen wahren Islamexperten unbestritten. Bezeichnenderweise stammen diese Beteuerungen meist von fachfremden Islamkritikern. Tatsächlich gibt es in Deutschland keine vier Inhaber eines islamwissenschaftlichen Lehrstuhls, die eine solche Einschätzung teilen würden.

Schließlich geht den Prophetenbeschimpfern alles ab, was zur wissenschaftlichen Grundausstattung zählt: die Fähigkeit zur synoptischen Koranlektüre, die historische Einordnung von Geschehnissen, die sich vor 1400 Jahren zutrugen, oder schlicht die Bereitschaft, dem Propheten im Zweifelsfall nicht grundsätzlich die ungünstigere Motivation zu unterstellen.

Erstveröffentlichung am 19.01.10 in: DIE WELT; mit freundlicher Genehmigung des Autors und Redakteurs



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