Newsnational Sonntag, 21.08.2005 |  Drucken

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Muslime beim Papst Benedikt XVI. - Elyas fordert „Schlussstrich unter die schwarzen Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte“

Gegen gemeinsamen Feind, dem Terrorismus, vorgehen

Bei der gestrigen Audienz von Papst Benedikt XVI. überreichte Dr. Nadeem Elyas dem Pontifex im Namen des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) ein Prachtexemplar des Koran mit der deutschen Übersetzung seiner Bedeutung (siehe Bild).
Bei dieser erstmaligen Begegnung zwischen dem Vatikan und den Muslimen in Deutschland vermittelte der Vorsitzende die Grüße des Zentralrats und brachte seine Erwartungen und Anregungen mit folgendem Wortlaut zum Ausdruck:

„Eure Heiligkeit, ich möchte Sie auch im Namen des Zentralrats der Muslime in Deutschland herzlich willkommen heißen.
Wir wissen, die außerordentliche Ehre des Gesprächs mit Ihnen zu schätzen, und teilen die große Freude über Ihren Besuch in Deutschland mit der gesamten Bevölkerung unseres Landes, so wie wir - obwohl Muslime - Freude und Stolz empfunden haben, als Sie als "deutscher Papst" gewählt wurden.

Das Treffen der katholischen Jugend aus aller Welt zeigt in einer gewaltigen Demonstration, wie eine Weltreligion viele Völkerschaften, verschiedene Sprachen, unterschiedliche nationale Identitäten und Loyalitäten widerspruchslos und friedlich durch eine gemeinsame Glaubensüberzeugung zusammenführt. Ein wenig neidisch schauen wir Muslime in Deutschland auf die Katholiken, denen man Konflikte auf diesen Gebieten nicht unterstellt.

Wie wir unsere heutige Begegnung mit Ihnen mit Freude wahrnehmen, nahmen wir Ihre zum Dialog bekennenden Worte in den ersten Predigten Ihrer Amtszeit wahr. Diese deuten wir als Umsetzung des Geistes des Zweiten Vaticanum, das vom Respekt gegenüber dem Islam und den Muslimen ausgeht.
Hier in Deutschland fühlen wir uns dem Dialog mit den Christen verpflichtet und stehen seit Jahrzehnten in einem respektvollen und konstruktiven Verhältnis zu der Katholischen Kirche und den anderen Religionsgemeinschaften. Vom heutigen Gespräch erhoffen wir uns eine Motivierung der einzelnen Gläubigen, sowohl in den Kirchen- als auch in den Moscheegemeinden zu mehr Begegnung und gemeinsamen Aktionen. Hier mangelt es auf beiden Seiten an Mut und Vertrauen.
Wir wünschen uns aber auch aus der heutigen Begegnung eine zusätzliche Steigerung des auf der Ebene der Kirchenleitung und der islamischen Vorstände laufenden Dialogs. Diese Dialoggremien sollen im Angesicht der uns alle erfassenden Probleme in Deutschland und in Europa nicht nur Gesprächsebenen bleiben, sondern Foren für gemeinsame Aktionen und Projekte werden. Aus diesen Gesprächen könnten Solidarität unter den Gläubigen beider Religionen und Verantwortung für die Gesellschaft entstehen. Die Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher, die Bildungsdefizite, die zunehmende Areligiosität, die häufige Diskrepanz zwischen Politik und Werten unserer Religionen stellen für uns alle Herausforderungen, denen wir durch unsere Gemeinsamkeiten geschlossen entgegentreten können.

Gleiches gilt auf internationaler Ebene für die Begegnung zwischen dem Vatikan und der islamischen Welt.
Aus tiefstem Herzen wünschen wir uns, dass da der Dialog zu einer festen Institution wird, vielleicht in Form eines ständigen Dialogforums zwischen dem Vatikan und den in der islamischen Welt anerkannten internationalen Institutionen, wie Al-Azhar, die Organisation der Islamischen Konferenz, die ISESCO und die Muslim-World-League.
Probleme der Menschenrechtsverletzungen, der Globalisierung, der Überschuldung ganzer Kontinente, des Fanatismus, Rassismus und Terrorismus, sowie die Bereiche Moral und Ethik, Familie und Ehe, Spiritualität und Frömmigkeit geben große Möglichkeiten des solidarischen Handelns und werden uns die großen Gemeinsamkeiten unserer Offenbarungsreligionen deutlich machen.

Eure Heiligkeit, es ist das Gebot der Stunde, einen Schlussstrich unter die schwarzen Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte zu ziehen, wie dies im „Mea Culpa“ des vorigen Pontifex in Bezug auf den Antisemitismus geschehen ist.
Auch die islamische Welt sollte ihre historische Schuld bekennen und zu einem neuen konstruktiven Anfang bereit sein.
Nicht zuletzt unser gemeinsamer Feind, der Terrorismus, macht dies erforderlich. Unser Glaube an Gott und unser Menschsein verpflichten uns dazu.

Möge Gott Ihnen und uns den Weg der wahren Kenntnis und des rechten Handelns ebnen.“




Lesen Sie dazu auch:
Dialog mit den Muslimen - Kardinal Karl Lehmann. "Wir sind glücklich, dass es zu dieser Begegnung gekommen ist."
"Hassgefühle aus dem Herzen ausrotten" Papst besucht wegen "Zeitdruck" keine Moschee in Köln
tagesschau.de: Zentralratsvorsitzende übergibt deutsches Koranexemplar Papst Benedikt XVI.

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