Newsnational Donnerstag, 30.03.2006 |  Drucken

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Wie kann eine vernünftige Integrations –und Islampolitik aussehen? - Von Aiman A. Mazyek

Wichtiger denn je ist jetzt die Klärung der Beziehung der Muslime zum deutschen Staat

Wichtiger denn je ist jetzt die Klärung der Beziehung der Muslime zum deutschen Staat, wie uns z.B. der Karikaturenstreit und die außenpolitischen Verwerfungen wie jüngst das Beispiel des Konvertiten Abdul Rahman, eindringlich vor Augen führen.

Seit Jahrzehnten leben Muslime unter uns, Einheimische, Konvertiten und Migranten. Sie haben das Land nach dem 2. Weltkrieg mit aufgebaut, zahlen Steuern wie jeder andere und doch bleiben viele von ihnen Außenseiter, nicht integriert?! Fehlende Chancengleichheit, Rückzugstendenzen in Ghettos und enttäuschte Erwartungen tun ihr Übriges. Dass Muslime dabei leicht und gerne die Schuld allein bei den anderen suchen, ist genauso falsch wie die Haltung der Mehrheitsgesellschaft, die oft übersieht, dass gelungene Integration auch Veränderungsbereitschaft von der Mehrheit der Bürger voraussetzt.

Die Tatsache, dass wir es bisher nicht geschafft haben, dringend benötigte deutsch-türkische Fußballtalente aus der zweiten und dritten Generation für die Fußball-Nationalmanschaft zu rekrutieren und dass diese immer noch lieber in der türkischen Mannschaft spielen, zeigt schmerzvoll, dass das Zusammenleben noch nicht richtig funktioniert.

So ist zum Beispiel die Frage des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf islamischen Religionsunterricht seit fast 20 Jahren – fast solange übrigens wie es auch den Zentralrat der Muslime in Deutschland gibt - ungeklärt. Politiker kündigen zwar in Sachen Integration eine Menge an, aber wenn es ans Eingemachte geht, dann werden sogar Mittel für den Deutschunterricht zurückgefahren, wie die jüngste Ankündigung des Innenministers zeigt. Wir hören gerne hoffnungsvolle Worte der neuen Bundesregierung, sind sie doch auch wichtige Vertrauen schaffende Signale. Muslime wollen aber auch durch umgesetzte Programme überzeugt werden!

Immer weitere und verschärfende Sicherheitsgesetze, Kopftuchverbotsgesetze oder 1001 Gesinnungsfragen ersetzen da keine vernünftige Integrations –und Islampolitik.
Im Gegenteil, die Gräben werden dadurch tiefer und das Vertrauen, der Kitt jeder funktionierenden Gesellschaft, droht vollends zu zerbröckeln.

Auch die Leitkulturdebatte, die nicht selten eine Abgrenzungsdebatte ist – man erfährt bisher nur, was man alles nicht sein will - wird uns da kaum weiterhelfen. Diese Debatte macht aber etwas anders deutlich: dass die Deutschen nämlich zu wenig bisher über sich selber diskutiert haben. Islam und Multikulti-Diskussion als Folie dieser dringenden Debatte nach über einem Jahrzehnt deutscher Einheit taugen nur bedingt.

Die Chance für die Große Koalition in Berlin, diese "heißen Eisen" auch und gerade durch ihren disziplinarisch-politischen Einfluss auf die Landesregierungen, wo ja die Fragen über den Status der Religionsgemeinschaft juristisch verortet ist, anzupacken und zu lösen, ist groß.
Wenn sie es ernst meint mit der Integration von Muslimen, dann müssen jetzt konstruktive Vorschläge auf den Tisch, wie die Eingliederung der Muslime und ihre Repräsentation in Gesellschaft und Staat aussehen kann. Hoffentlich verspielt meine Regierung in Berlin diese einmalige Chance nicht leichtfertig.

Hoffentlich lässt sie sich auch nicht von den schon seit Jahren wiederholten Phrasen, die Muslime und ihre Organisationen müssen erst eine sein, damit es zu Gesprächen kommen kann, blenden. Abgesehen davon, dass dies z.B. auf Seiten der christlichen Kirchen auch nicht der Fall ist; wenn ein politische Wille für solch einen Schritt, zugegeben ins Neuland, vorhanden ist, bin ich sicher, dass man all jene muslimischen Akteure, die auf dem Boden unserer Verfassung stehen und agieren, an einen Tisch bekommt, um die ungeklärten Fragen bis hin zur Anerkennung eines gemeinsamen Ansprechpartners anzugehen. Die muslimischen Verbände ungeachtet ihrer bis heute organisatorischen Defizite, die durchaus einige Demokratisierungsschübe gut gebrauchen können, sind für dieses längst in Angriff zu nehmende Gespräch bereit.

Zudem wird in der Öffentlichkeit immer deutlicher, dass der Zentralrat mit den anderen Dachverbänden (DITIB, Islamrat und VIKZ) jenen Teil abdeckt, der sich zum praktizierenden Teil der Muslime zählt. Es gibt natürlich auch noch einen beträchtlichen anderen Anteil. Für diesen sind die Fragen von Religionsunterricht für seine Kinder oder z.B die Frage der muslimischen Seelsorge und Lehrstühle für islamische Theologie oder gar der Verzehr von islamisch geschächtetem Tier nur marginal von Interesse.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland und sein neu gewählter Vorstand spricht hier für den praktizierenden Teil der Muslime mit einer Stimme und beansprucht keinen Alleinvertretungsanspruch. Er pocht aber weiterhin auf die Forderung, dass diese Themen endlich auf die Tagesordnung der Politik kommen und gemeinsam mit den Muslimen gelöst werden.

Kurzfassung des Kommentars von Aiman A. Mazyek (neu gewählter Generalsekretär des Zentralrates der Muslime und Projektleiter von islam.de), wurde erstmalig in der Samstag-Ausgabe vom 25.03.06 der Tageszeitung „Nordkurier“ veröffentlicht





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