Newsnational Dienstag, 26.09.2006 |  Drucken

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"Der Gipfel!" - von Irmgard Pinn

Anmerkungen zur "Deutschen Islam-Konferenz" - Große Ereignisse werfen lange Schatten voraus. So wurde bereits vor Monaten angekündigt, Bundesinnenminister Schäuble würde demnächst einen "Islam-Gipfel" veranstalten.

Von einem neuen, ernsthaften Dialog war die Rede, um Muslime stärker als bisher aktiv am Integrationsprozeß zu beteiligen. Sogar ein abschließender "Gesellschaftsvertrag" wurde in Aussicht gestellt. Nach langer Geheimniskrämerei erblickte nun das Projekt das Licht der Welt - heruntergeschraubt auf eine "Deutsche Islam-Konferenz" von gerade einmal zweistündiger Dauer (mit vagen Fortsetzungsplänen). Je fünfzehn Repräsentanten des deutschen Staates und der muslimischen Community sind als "ständige Mitglieder" auserwählt, weitere Personen beabsichtigt das Ministerium zu den über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren tagenden Arbeitsgruppen einzuladen.

Muslimen wird oft - und keineswegs immer zu Unrecht - mangelnde Identifikation mit demokratischen Werten und eine unzureichende demokratische Praxis in den eigenen Vereinen und Verbänden vorgeworfen. Die Islam-Konferenz wäre nun eine gute Gelegenheit gewesen, Muslimen die Regeln und Vorzüge der demokratischen Meinungs- und Willensbildung nahezubringen. Bedauerlicherweise sind die Vorbereitungen statt dessen so gelaufen, daß korrekt eigentlich von einer "Islam-Audienz" - vor passender Kulisse des Charlottenburger Schlosses! - gesprochen werden müßte. Und das, was bisher über die Arbeitsgruppen bekannt wurde, läßt keinen Einstellungswandel erhoffen.

Das Bundesinnenministerium setzte nicht nur den Konferenz-Termin nach eigenem Gutdünken fest (sehr passend zu Beginn des Fastenmonats Ramadan), sondern bestimmte ebenso die Themen und die Teilnehmer.

Integration oder Verschärfung von Anpassungsdruck und Kontrolle?

Als "Gipfel" oder ähnlich etikettierten Veranstaltungen geht normalerweise eine intensive Vorbereitungsphase voraus, an der alle (potentiell) Beteiligten mitwirken, und zwar "auf gleicher Augenhöhe". Oft werden dann noch Experten, Beobachter oder sonstige Gäste hinzugeladen. Nach solchen Kriterien zeichnet sich die Islam-Konferenz durch Mißachtung der üblichen Regeln und eine ausgesprochen unprofessionelle Vorbereitung aus.
Der Themenkatalog umfaßt vom islamischen Religionsunterricht bis zur Stellung der Frau im Islam so ziemlich alles, was üblicherweise an Stammtischen wie im Feuilleton zur Sprache kommt, wenn das Stichwort "Islam" fällt. Offen bleibt allerdings, wie das Ministerium unter Integrations-Aspekten selbst zu diesen Themen steht und was es sich von einer Debatte in diesem Kreis überhaupt verspricht. Manches, wie z.B. die Teilnahme muslimischer Kinder am Schwimmunterricht, ist längst durch Gerichtsurteile geregelt. Sollte es dem Innenministerium also darum gehen, durch die Islam-Konferenz Argumente zu entwickeln und Strategien zu finden, die es zum einen muslimischen Kindern und Eltern ersparen, ihr Recht immer wieder aufs Neue erkämpfen zu müssen und andererseits Regelungen zu finden, daß muslimische Kinder ungeachtet dieser Rechtslage schwimmen lernen? Oder um was sonst soll es gehen?

Anderes - wie der islamische Religionsunterricht oder die Ausbildung von Imamen - fällt erstens eindeutig überhaupt nicht in die Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums und wurde zweitens andernorts bereits bis zum Exzeß durchdiskutiert. Die Forderung nach in deutscher Sprache und von in Deutschland ausgebildeten Lehrkräften erteiltem Islam-unterricht an öffentlichen Schulen wird von islamischen Verbänden bereits seit vielen Jahren gestellt. In NRW haben ZMD und Islamrat sogar schon längst ein entsprechendes Curriculum erarbeitet. Daß daraus bisher nichts geworden bzw. über das Stadium von Modellversuchen hier und dort nicht hinausgekommen ist, liegt primär am mangelnden politischen Willen der Länder und insbesondere den dafür erforderlichen Finanzmitteln. Dürfte man daher nicht zumindest eine kleine Begründung erwarten, weshalb dieses Thema im Kreis der Islam-Konferenz nochmals diskutiert werden und mit welchem (neuen) Ziel das gegebenenfalls geschehen soll?

Noch seltsamer erscheint die Diskussions-Vorgabe "Staat und Kirche": Was interessiert in diesem Zusammenhang die Beziehungen zwischen dem Staat und den christlichen Kirchen? Haben Muslime je den Wunsch geäußert, da mitzureden? Oder geht es um das Verhältnis Staat - Religion (Muslime haben bekanntlich keine "Kirche")? Und was genau soll diskutiert und geregelt werden? Auch dies vermutlich nur ein "Flüchtigkeitsfehler" - und dennoch bezeichnend für die gesamte Konstellation.

Muslime waren, wie erwähnt, an der Aufstellung der Themenliste nicht beteiligt. Aber auch seitens des Bundesinnenministeriums wurde kein Gedanke daran verschwendet, wie die Muslime und insbesondere die Moscheegemeinden und Verbände überhaupt in die Lage versetzt werden sollen, all jene ihnen zugedachte Aufgaben zu erfüllen. Nachdem sich die muslimischen Organisationen mittlerweile zum - mindestens - hundertsten Mal öffentlich gegen Terrorismus und Gewalt ausgesprochen haben, werden sie mit ständig wachsendem Druck aufgefordert, das auch durch entsprechende Taten zu beweisen. Von den Moscheegemeinden wird eine intensive, qualifizierte Aufklärungs- und Beratungstätigkeit erwartet. Sie sollen sich integrationsbereit zeigen, Jugendliche und Frauen fördern, sich am interreligiösen Dialog beteiligen und sich im Kontext deutscher sicherheitspolitischer Interessen engagieren. Wie all das von den Gemeinden und Vereinen, die weder über Einnahmen aus Kirchensteuern und öffentlichen Mitteln noch über finanzkräftige Sponsoren (Stiftungen usw.) verfügen, bewerkstelligt werden kann, wäre wohl eher ein lohnendes Thema für einen Dialog zwischen hochrangigen Politikern und Vertretern der muslimischen Community als allgemeine Erörterungen über z.B. das Verhältnis von Staat und Religion. Denn an die deutschen Gesetze und "Spielregeln" müssen hier lebende Muslime sich ohnehin halten.

Wer sind "die Muslime"?

Ganz ähnlich wie mit dem Themenkatalog verhält es sich mit der Zusammensetzung des Teilnehmerkreises: Warum ausgerechnet 30 Personen (15:15)? Durch eine etwas größere Teilnehmerzahl auf muslimischer Seite hätte sich jedenfalls einiges an Querelen im Vorfeld sowie an vorhersehbar dauerhaften Mißstimmungen vermeiden lassen. Wichtiger jedoch sind zweifellos die Kriterien, nach denen die Liste muslimischer Teilnehmer zustande gekommen ist. Das Ministerium hüllt sich dazu in Schweigen.

Ein zur Vorbereitung der Konferenz erstelltes Papier erwähnt die Heterogenität der in Deutschland lebenden Muslime bezüglich Herkunft, Lebensweise, religiöser Orientierung usw. sowie die allseits bekannte - und von den islamischen Vereinigungen nie bestrittene - Tatsache, daß nur ein Teil der Muslime durch die islamischen Vereine/Verbände vertreten wird. Wie groß dieser Anteil ist, weiß niemand genau. Mit Sicherheit läßt sich allerdings sagen, daß die vom Innenministerium zugrunde gelegte Mitgliedschaft in islamischen Vereinen keine zuverlässige Berechnungsgrundlage liefert. Denn um sich überhaupt organisieren zu können, haben die in Deutschland lebenden Muslime zwar die dem Islam eigentlich fremde Vereinsstruktur übernommen, doch werden in der Regel nur diejenigen Vereinsmitglieder, die sich aktiv und auch finanziell am Gemeindeleben beteiligen (wollen). Auch tritt aus einer Familie in der Regel nur eine Person einem Verein bei. Hinzu kommt eine Vielzahl von Personen, die aus den verschiedensten Gründen nur gelegentlich - z.B. an Festtagen - am Gemeindeleben teilnehmen.

Ob und wieviele der nicht-organisierten Muslime sich nichtsdestotrotz durch einen islamischen Verein oder Verband repräsentiert fühlen, z.B. in Fragen des islamischen Religionsunterrichts, ist unbekannt. Immerhin liegen empirisch fundierte Forschungserkenntnisse, beispielsweise des Zentrums für Türkeistudien, vor, wonach die religiöse Orientierung in der türkischen Community in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat - auch unter Muslimen, die selten oder nie eine Moschee besuchen oder keinem Verein angehören. Durch wen diese sich vertreten sehen bzw. bei Anlässen wie der Islam-Konferenz repräsentieren lassen möchten, sollte bei entsprechendem Interesse wohl wenigstens in Annäherungszahlen ermittelbar sein. Statt dessen werden sie vom Bundesinnenministerium umstandslos denjenigen Muslimen zuzuschlagen, die eine negative Einstellung zu islamischen Vereinen oder Verbänden haben, um so ein Teilnehmerverhältnis von fünf Vertretern des "organisierten" Islam zu zehn der "schweigenden muslimischen Mehrheit" (gerne als liberal, säkular, islamkritisch usw. gelobt) zu legitimieren. Bei genauem Hinsehen erweist sich das als reine Willkür. Offensichtlich verfolgt das Ministerium die Absicht, die Weichen von vornherein in eine die Vereine und Verbände schwächende Richtung zu stellen.

Integrationsdebatte oder Kulturkampf in Kleinformat?

Dieser Eindruck verstärkt sich bei Durchsicht der Einladungsliste. Nach welchen Kriterien wurden diejenigen ausgewählt, die für die liberalen, säkularen, nicht-organisierten Mehrheitsmuslime sprechen sollen? Daß auch Musliminnen und Muslime, die den Islam nur individuell oder gar nicht praktizieren, am Integrationsdiskurs beteiligt werden, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Doch sollte dies in einer fairen, konstruktiven Weise geschehen und nicht in Form eines durch die organisatorisch vorgegebenen Strukturen kaum vermeidbaren "Kulturkampfes". Natürlich gelten die gesetzlichen Rahmenbedingungen für alle, aber wo bleiben bei diesem Ansatz die Grundprinzipien von Demokratie und Pluralismus? Entgegen dem - wie so oft - mit der Einladung zur Islam-Konferenz vermittelten Eindruck, liberale, säkulare, islamkritische Muslime kämen in Deutschland kaum zu Wort und müßten daher dringend protegiert werden, sind im Gegenteil sie es, die die öffentliche Debatte dominieren. Allein die Auflistung von Artikeln, TV- und Radiosendungen, Interviews usw. von und über Seyran Ates und Necla Kelek aus den letzten Monaten würde viele Seiten umfassen, Vorträge in Akademien und Lesungen in Buchhandlungen noch gar nicht mitgerechnet. Ihre Publikationen werden von hochrangigen Politikern der Öffentlichkeit vorgestellt und als Grundlagenwerke der Integrationspolitik gepriesen. Und wenn es auch zutrifft, daß die von der deutschen Politik so sehr als Ansprech- und Kooperationspartner herbeigewünschten Muslime, die den Islam privat oder gar nicht praktizieren, (noch) nicht in organisierter Form existieren, so mag das viele Gründe haben, aber die islamischen Vereine und Verbände sind daran nicht beteiligt.

Es ist vorhersehbar - und allem Anschein nach auch so gewünscht -, daß die Islam-Konferenz zum Forum für mehr oder weniger heftige Auseinandersetzungen zwischen den nicht-organisierten, "liberalen", "kritischen" Muslimen einerseits und den Vertretern der Vereine und Verbände andererseits wird. Es fragt sich allerdings, was das für die Integrationspolitik und damit für das Ziel eines gerechten, friedlichen Zusammenleben bringen soll. Warum können nicht die religiös orientierten Muslime ebenso ihren Platz in der deutschen Gesellschaft finden wie die "Kultur-Muslime" oder diejenigen, die nur noch nominell Muslime sind und entsprechend wenig Interesse an religiösen Belangen haben (bzw. im Gegenteil das Interesse, die Position religiöser Muslime und ihrer Vertretungen zu schwächen). Worin soll beispielsweise ein konstruktiver Beitrag Necla Keleks, die sich selbst nicht als Muslima versteht und den Islam für prinzipiell integrationsschädlich hält, zur Frage des islamischen Religionsunterrichts oder zum Bau neuer Moscheen bestehen? Wäre es dagegen nicht sinnvoller, die Ansichten und Interessen nicht-organisierter Muslime in Form von Bürger-Debatten zu erkunden, wie sie vielerorts in kommunalen Angelegenheiten praktiziert werden, und diese dann in einen Pool von Meinungen, Interessen, Forderungen und Vorschlägen einzubringen, statt Streit und Konflikte auch noch zu inszenieren? Dazu könnten/sollten Experten-Gutachten kommen, um dann in einem mehrstufigen Diskussionsprozeß zu Ergebnissen und Perspektiven zu gelangen, die allen Beteiligten gerecht werden.

Wenn der "Dialog" zur Leerformel wird ...

Angeblich soll mit dieser Konferenz ein Dialog-Prozeß in Gang gesetzt werden. KritikerInnen werden damit abgefertigt oder vertröstet, daß es immerhin ein Anfang sei, daß man nicht zu viel erwarten dürfe, daß der deutsche Innenminister ein "Zeichen" setzen wolle usw. Diese Sichtweise wird leider auch von manchen Musliminnen und Muslimen unterstützt, die entweder bereits vor Ehrfurcht und Dankbarkeit erstarren, wenn sie auserwählt werden, einmal am Tisch der Mächtigen Platz zu nehmen, oder aber sich davon längerfristig gewisse Vorteile versprechen. Die Latte der Genügsamkeit liegt knapp über Null, und davon abgesehen, wäre es insbesondere für islamische Vereine und Verbände nahezu unmöglich, so eine "Vorladung" zurückzuweisen, ohne daß von deutscher Seite ein Sturm an Verdächtigungen und Vorwürfen über sie hereinbräche. Was eine Integrations-Veranstaltung unter diesen Prämissen überhaupt erbringen kann, steht auf einem anderen Blatt ...

Von solchen Überlegungen unangefochten gerieren sich Bundesinnenminister Schäuble - und ein Großteil der Medien -, als hätte dieser persönlich gerade erst den Dialog erfunden. Dabei finden ähnliche Veranstaltungen seit vielen Jahren statt (wenn auch nicht gerade auf "höchster Ebene"). Was ist dabei bisher herausgekommen? Und was berechtigt zu der Hoffnung, diesmal würde es mehr werden als heiße Luft? Es sei in diesem Zusammenhang nur an das vor wenigen Jahren von der nordrhein-westfälischen Landesregierung durchgeführte Integrations-Programm mit hunderten von Arbeitsgruppen, unzähligen Reden und Papieren usw. erinnert. Was auch immer die positiven Ergebnisse gewesen sein mögen - für die angeblich so überaus wichtige Integration der muslimischen Bevölkerung hat das alles nichts Erwähnenswertes erbracht. Sollten derartige Erfahrungen nicht zunächst einmal kritisch aufgearbeitet werden, bevor man sich auf das nächste große "Dialog"-Projekt stürzt?






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